Kleines Bild & großer Krimi

Wassily Kandinsky, Ohne Titel, 1928 Grisebach

Im Laufe der spektakulären Versteigerung von Max Beckmanns Selbstbildnis gelb-rosa am 1. Dezember 2022 wurde auch das kleine (12,3 × 9 cm, kleiner als eine Postkarte) aber hübsche Aquarell Ohne Titel von Wassily Kandinsky (* 1866, † 1944) für 387.500 € bei Grisebach in Berlin verkauft. Der Schätzpreis hatte zuvor zwischen 100.000 und 150.000 € gelegen.

Auf dem Bild finden sich sämtliche Elemente wieder, die die Werke Kandinskys in den Zwanzigern auszeichnen: Eine austarierte Komposition aus sich wiederholenden, ineinander verschränkten und sich überschneidenden geometrischen Formen und die freihändig gezogene Schlangenlinie, die die auseinander strebenden Teile zusammen zu halten scheint. Nicht zuletzt auch der locker und luftig gemalte Hintergrund in Pink, der das Eigenleben der lichten Aquarellfarben noch steigert. Das Bild erscheint nochmal lebendiger, als es ohnehin schon ist.

Wie die Widmung unten rechts zeigt, hatte Kandinsky das Bild dem Braunschweiger Sammler Otto Ralfs (* 1892, † 1955) anläßlich dessen 38. Geburtstages geschenkt. Ralfs war nicht nur ein bedeutender Sammler von Kunst der Klassischen Moderne sondern auch deren Förderer. Er war außer mit Kandinsky auch mit weiteren Künstlern wie Paul Klee, Lyonel Feininger, Alexey von Jawlensky und Thilo Maatsch befreundet, die er regelmäßig nach Braunschweig einlud. Im September 1924 gründete Ralfs die Gesellschaft der Freunde junger Kunst (GFJK). Nach der Machtübergabe an Adolf Hitler 1933 mußte die Ausstellungstätigkeit wegen des Vorwurfs Entarteter Kunst eingestellt werden und die GFJK wurde aufgelöst. Alleine dieser Hintergrund macht das kleine Bild schon zu etwas Besonderem.

Soweit, so gut.

Allerdings meldete sich kurz vor Beginn der Auktion am 1. Dezember die polnische Botschaft in Berlin und behauptete, das Werk sei 1984 aus dem Warschauer Nationalmuseum gestohlen worden.

Screenshot 11.12.2022

Das Auktionshaus sah aber vorerst keinen Grund, die Versteigerung abzubrechen.

Daß sich das Werk in einem Warschauer Museum befand, ist unstrittig. Grisebach selbst gibt als Herkunft

Otto Ralfs, Braunschweig (Geburtstagsgeschenk des Künstlers, 1.4.1928 bis ca. 1940) / Muzeum Narodowe w Warszawie, Warschau (ca. 1965-1983) / Privatsammlung, USA / Maren Otto, Hamburg (1988 bei der Galerie Thomas, München, erworben)

an.

Unklar bleibt daraus, wo sich das Bild zwischen 1940 und 1965 befand (die Sammlung Ralfs wurde 1944 durch einen Bombenangriff zerstört) und wie es von dem Warschauer Museum über eine amerikanische Privatsammlung in die Galerie Thomas gelangte. Eine Stellungnahme der Villa Grisebach führt außerdem noch eine öffentliche Auktion bei Sotheby's London auf, bei der Anfang der 80er Jahre der Kandinsky versteigert worden sein soll. Die Galerie Thomas, in der Maren Otto (die Einlieferin zur Auktion) das Werk erwarb, gilt jedenfalls als durchaus seriöse Adresse im Kunsthandel.

Sollte das Aquarell tatsächlich gestohlen worden sein stellt sich die Frage, ob Maren Otto sich das Eigentum daran durch gutgläubigen Erwerb ersessen haben könnte. Grisebach hat angekündigt, die weitere Abwicklung der Auktion bis zu einem endgültigen gerichtlichen Entscheid auszusetzen.

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