Selbstbildnis gelb-rosa
In einem klaustrophobischen Keller sind alle möglichen Ausgänge versperrt. Eine alptraumhafte Episode entfaltet sich: die Folter eines nackten, gefesselten Mannes durch eine verrückte Schar anthropomorpher Vögel, eine Operation, die von einer vielbrüstigen Frau überwacht wird, die wie ein alptraumhafter Springteufel aus einer riesigen Eierschale auftaucht.
Willkommen in Max Beckmanns Gemälde Hölle der Vögel aus den Jahren 1937/38. Beckmann vollendete diese Szene – eine Allegorie der NS-Herrschaft – im Amsterdamer Exil. Fast 600 Werke von Beckmann warden zuvor in deutschen Galerien beschlagnahmt worden, er war einer der Hauptkünstler der berüchtigten Ausstellung Entartete Kunst, die von den Nazis in München veranstaltet wurde, um diejenigen zu benennen und zu beschämen, die als treibende Kräfte der Korruption galten. Aus Angst vor Verfolgung floh der 53-jährige Beckmann am 19. Juli 1937 – am Eröffnungstag der Schau – mit seiner Frau Mathilde in die Niederlande.
Das Opfer in Hölle der Vögel repräsentiert jedoch sicherlich den anständigen Durchschnittsdeutschen. Zu seiner Linken befindet sich ein Tisch, auf dem einige der guten Dinge zu sehen sind die er genoß, bevor die Folterknechte eintraten: ein Buch (Symbol des Lernens), eine Weintraube (Symbol der Nächstenliebe) und eine Kerze (Symbol der Erleuchtung).
Der Chef-Dämon steht im Mittelpunkt. Es ist nicht ganz klar, ob er schreit oder derb lächelt. Er repräsentiert weniger Adolf Hitler als vielmehr die Person der Nationalsozialistischen Partei als Ganzes und erhebt seinen rechten Arm zum Sieg-Heil-Gruß. Frisch geschlüpft bedeutet er eine schreckliche neue Ära. Beckmanns dynamische Pinselführung und die knalligen bunten Farben verstärken das Gefühl von Gewalt und Lärm. Gleiches gilt für die Figuren die im Hintergrund links den Gruß ihres Anführers imitieren und die großen Lautsprecher im Hintergrund rechts. Der allegorische Angriff von verrückten Kreaturen auf ein einzelnes Individuum hat die Kraft selbst bei denen, die die deutsche Geschichte nicht kennen, einen Nerv zu treffen.
Die Hölle der Vögel wurde anfangs nur von sehr wenigen Menschen gesehen. Das Bild hing bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs privat in der Pariser Wohnung seiner Freundin Käthe von Porada.
Echte Kunst kann nicht durch Propaganda wirksam gemacht werden, schrieb Beckmann während der Arbeit an dem Bild an einen Freund. In Anbetracht der Tatsache, daß Hitler vom deutschen Volk an die Macht gejubelt worden war fügte er hinzu, daß Politik eine untergeordnete Angelegenheit ist, [die] sich ständig mit der Laune der Massen ändert.
Am 1. Dezember kommt in Berlin beim Auktionshaus Grisebach ein weiteres Gemälde von Max Beckmann (* 1884; † 1950) unter den Hammer. Das Selbstbildnis gelb-rosa von 1943 wird auf durchaus ambitionierte 20 bis 30 Millionen Euro geschätzt.
Damit ist das Bild das bisher höchsttaxierte Kunstwerk des hiesigen Handels und könnte mit Vorsprung zum teuersten je in Deutschland zugeschlagenen werden. 2018 erzielte Beckmanns Die Ägypterin von 1942 bei Grisebach 4,7 Mio. €. Beckmanns Badende mit grüner Kabine und Schiffern mit roten Hosen von 1934 ging – wieder bei Grisebach – für 1,9 Mio. € an das Kunstmuseum Den Haag.
International sieht es anders aus: In Ronald Lauders Museum Die Galerie hängt das Selbstbildnis mit Horn von 1938, 2001 bei Sotheby's New York von Richard Feigen ersteigert. Aus Feigens eigener Sammlung stammte Beckmanns dystopisches Gemälde Hölle der Vögel von 1937/38 (oben), das vor fünf Jahren bei Christie’s in London für den Rekordzuschlag von 32 Millionen £ an den amerikanische Megahändler Larry Gagosian ging. Es hat schon einen Grund, warum das Werk zuvor auch in New York (vom 5. bis zum 10. November) der Öffentlichkeit gezeigt wurde.
Das Selbstbildnis gelb-rosa ist eines der wenigen Selbstportraits, das sich noch in privater Hand befindet. Zuletzt wurden auf dem internationalen Markt 2001 das Selbstbildnis mit Trompete für umgerechnet gut 23 Mio. € und vier Jahre später das Selbstbildnis mit Glaskugel für mehr als 17 Mio. € in New York versteigert.
Max Beckmann schuf das Bild in Amsterdam und schenkte es seiner Frau Mathilde, genannt Quappi. Mit dem Überfall auf Holland wurde das Paar allerdings wieder von Hitler eingeholt.1947 wanderten sie in die USA aus.
Beckmann, der in Amsterdam nur unter großen Schwierigkeiten arbeiteten konnte und auch nur knapp der Einberufung entging, hat sich häufiger selbst portraitiert. Als König, Barbesucher und Wahrsager, Clown, Krankenpfleger und Künstler.
Aber hier hat er sich in dunkelster Zeit ungewöhnlich licht inszeniert. Frontal vor hellem Grund in Halbfigur, dem Betrachter zugewandt, hält er die Arme mit ausgebreiteten Händen flach vor dem Körper übereinander. Weiche Schatten modellien seinen Kopf, der mit abgeschattetem Gesicht aus dem V-Ausschnitt eines gelben Mantels, vielleicht eines Morgenrocks, mit weißem Tuch, Pelz oder Kragen um den Hals, heraus ragt. Der Blick weicht aus in unbestimmte Ferne, wirkt verunsichert. Der runde Spiegel links wirft nur Dunkel zurück. Es wirkt, als halte er inne, fast mönchisch, fast meditativ — vielleicht besorgt aber doch mit offenen Augen. Seine Hand könnte einen Pinsel halten, ist aber leer. Eiin Moment der Ruhe im Sturm, ein Akt der Selbstbehauptung, ein Zeichen der inneren Freiheit.
Update 2. Dezember 2022: Das Bild erzielte 20 Mio. € (ohne Aufgeld) und blieb damit an der Untergrenze der Schätzung. Käufer war der deutsche Sammler Reinhold Würth. Er beabsichtigt die öffentliche Ausstellung.
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