Der »Meister von Delft«
Die mittlere Tafel des Triptychons zeigt die Jungfrau und das Kind, die auf einem mit Blumen übersäten Rasen in einem ummauerten Hortus Conclusus sitzen – ein Hinweis auf Marias Jungfräulichkeit. An den hinteren Ecken der Mauer, dahinter Wasserflächen, sind links drei musizierende Engel und rechts Joseph zu sehen.
Bei den beiden prächtig gekleideten Frauen im Vordergrund könnte es sich um Sibyllen handeln. Prophetinnen der klassischen Antike, die das Kommen Christi vorhersagen. Das Recht, sich im umzäunten Garten aufzuhalten, war weiblichen Heiligen vorbehalten. Die Frau mit dem Buch links ist schwer als konkrete Heilige zu identifizieren. Es könnte sich um die kumäische oder die kimmerische Sibylle handeln, die die Aufmerksamkeit des Kindes auf die Vision am Himmel darüber lenkt. Die Frau rechts, die der Jungfrau eine Blume aus ihrem Korb anbietet, könnte die heilige Dorothee sein.
Das nackte Christuskind, das auf Marias Schoß steht, hat den Kopf gedreht, um zu der Vision in einem Heiligenschein am Himmel aufzublicken, die seine Passion ankündigt.
Es zeigt zwei Engel, die vor einem Tabernakel die Vorhänge beiseite gezogen haben, um die vielen Instrumente der Passion freizulegen, die Arma Christi, bestehend aus der Dornenkrone, dem Geißelpfosten, der Lanze und der Leiter, sowie Büsten des Pilatus (mit Wasserkrug und Schale), des Priesters Kaiphas (mit Mitra), Petrus (mit Hahn), und die Magd, die ihn als einen der Jünger Christi erkannte. Am Tisch, auf dem Nägel, Hammer, Zange und Geißel liegen, sitzt Gott der Vater, der auf einen Binsenkorb zeigt. Die himmlische Stiftshütte wird im Brief des heiligen Paulus an die Hebräer (9,11) mit Christus als dem von Gott erwählten Hohenpriester beschrieben, der die Menschheit durch seinen Opfertod am Kreuz mit Gott versöhnen wird.
Es scheint keine direkten Vorbilder für die Ikonographie der Mitteltafel zu geben. Der Aufbau der Komposition ist aber mit der Tafel des Meisters der Virgo inter Virgines verwandt, auf der ebenfalls eine Personengruppe in einem hortus conclusus abgebildet ist.
Die Flügel des Triptychons mit den beiden Stiftern und ihren Schutzheiligen passen sowohl räumlich als auch architektonisch zur Mitteltafel. Es gibt keine Hinweise auf die Identität der auf einem Prie-dieu knienden Spender. Der Heilige auf der linken Seite ist möglicherweise Martin von Tours, der auch der Schutzpatron der Stadt Utrecht war. Die weibliche Heilige ist eventuell Cunera, denn sie trägt eine Krone und hat das Halstuch, mit dem sie ermordet wurde, um ihren Nacken geschlungen.
Seit 1913 wird das Triptychon einem ab ca. 1490 bis um 1520 in Delft tätigen Maler zugeschrieben, der »Meister von Delft« genannt wird. Es bildet seitdem den Kern seines Oeuvres. Die hellen, manchmal fast pastellartigen Farbtöne gelten als eines der charakteristischen Merkmale der Arbeiten des Meisters. Sie befinden sich auch in den Stifterflügeln des Van-Beest-Triptychons des Meisters von Frankfurt in Aachen. Die fröhlichen Frauenfiguren zeichnen sich durch den feinen Kopfschmuck des Meisters, die hohe Stirn und das fliehende Kinn nach dem Vorbild des Meisters der Virgo inter Virgines aus. Das Triptychon wird allgemein als relativ frühes Werk des Meisters angesehen und ist um 1500/10 datiert, was von der Dendrochronologie, die auf ein Datum um 1510 hinweist, bestätigt wird. Die Flügel unterscheiden sich im Stil nicht deutlich von denen der Van-Beest-Triptychon in Aachen, das wahrscheinlich auf 1516 datiert werden kann.
Trotz der Unterschiede in der Detaillierung weisen die typischen Unterzeichnungen in den verschiedenen Teilen des Triptychons genügend Ähnlichkeiten mit dem Triptychon mit Passionsszenen des Meisters von Delft in London auf.
Die Geschichte der Passion (Christi Folter und Kreuzigung) entfaltet sich hier auf drei überfüllten Tafeln. Links wird Christus aus seinem Prozess herausgeführt; in der Mitte wurde er gekreuzigt; rechts wird seine Leiche vom Kreuz abgenommen.
Die Ereignisse scheinen in der Nähe der Stadt Delft stattzufinden: Im Hintergrund der Mitteltafel ist der Turm der Neuen Kirche zu sehen. Das Triptychon wurde wahrscheinlich für das Kloster Koningsveld bei Delft angefertigt. Der Mann in weißer Kutte, der vorne links auf der Mitteltafel kniet, ist wahrscheinlich Herman van Rossum, Propst von Koningsveld, der das Triptychon für den Hochaltar um 1510 in Auftrag gegeben haben könnte.
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