(Derzeitiges) Niedrigwasser im Rhein
Das derzeitige Niedrigwasser im Rhein gefährdet die Konjunktur titelte die Tagesschau etwas reißerisch und alarmistisch am 20.07.2023. Schon kurze Zeit später schien den Redakteuren allerdings aufgefallen zu sein, daß das so — mal wieder — kaum haltbar ist und die Schlagzeile wurde stillschweigend in Niedrigwasser im Rhein gefährdet die Konjunktur abgeändert.
Besser so. Denn schon ein Blick auf die aktuellen Wasserstände der Bundeswasserstraßen beim Bundesamt für Gewässerkunde hätte verraten, daß es am Pegel Kaub (um den es im Artikel geht) momentan nichts Besonderes zu sehen gibt.
Mit 128 cm steht das Wasser am Pegel zwar nicht besonders hoch (ist um diese Jahreszeit auch nicht zu erwarten), unter dem mittleren Wasserstand (MW) der Zeitreihe von 2000 bis 2010 (224 cm) aber immer noch über dem MNW (mittlerer Niedrigwasserstand) von 65 cm. (Der Niedrigwasser-Rekord lag bei 24 cm im Oktober 2018.)
Das kann (und wird!) sich im Jahresverlauf freilich noch ändern. Wasserstände sind eine sehr dynamische Angelegenheit. Möglicherweise kommt es auch wieder zu (dramatischen) Niedrigwsserständen. Momentan ist aber jede Aufregung umsonst.
Die Vorhersage zeigt, mit welch großen Unsicherheiten zu rechnen ist:
Konjunkturgefährdend ist übrigens nicht nur das Niedrigwasser im Rhein. Das ist ein sog. Hard Fact. Konjunkturgefährdend sind ebenfalls die sog. Soft Facts, wie bspw. die allgemeine Stimmung unter den Konsumenten und den Produzenten. In einer pessimistisch geprägten Stimmung neigen Konsumenten dazu, weniger zu konsumieren und Produzenten dazu, weniger zu investieren. Da sich beide gegeneinander beeinflussen und verstärken können, neigen verschiedene Wirtschaftswissenschaftler dazu, Soft Facts höher zu bewerten, als Hard Facts. Wirtschaft (Konjunktur) ist zu einem großen Teil blanke Psychologie. Insofern hat der Tagesschau-Redakteur die Konjunkturgefährdung, vor der er warnen wollte, nur verstärkt. Es bleibt dabei: Schlechte Beispiele sind einfach nur schlechte Beispiele.
Vielleicht ließ sich ja der Redakteur von seinem dramatisch wirkenden Titelbild beeinflussen und dachte sich flugs "da schreib' ich jetzt mal einen Artikel dazu". Gedacht — getan, das wäre dann ein Beispiel dafür, wie ein Foto eine vermeintliche Realität überhaupt erst erschafft. Ging (diesmal) aber schief.
Das Bild zeigt übrigens gar keine gegenwärtige Situation. Es handelt sich um ein Agentur-Foto, welches am 03. März 2023, also vor über einem Vierteljahr, im Bereich der Sieben Jungfrauen, einer gut bekannten Untiefe bei Oberwesel, aufgenommen wurde.
Die Sandbänke dort sind immer zu sehen. Je nach Wasserstand mal mehr, mal weniger. Es gibt auch eine hübsche Sage dazu, wonach es sich bei den sieben Felsen um sieben versteinerte Jungfrauen von der Schönburg handelt, die zur Strafe, wegen eines Schabernacks den sie mit ihren Freiern getrieben haben sollen, versteinert wurden.
Bei der gleichen Agentur findet sich noch ein weiteres Foto, welches am 19. September 2007 aufgenommen wurde:
Es spricht überhaupt nichts dagegen, einen Artikel mit einem Symbolbild zu illustrieren. Das ist bei allen Medien absolut gängige Praxis. Allerdings markieren seriöse Medien Symbolbilder entsprechend, wenn es dadurch zu Mißverständnisssen oder Verwechslungen kommen kann.
Im Pressekodex des Deutschen Presserates, der Freiwilligen Selbstkontrolle der Printmedien und deren Online-Auftritte in Deutschland, findet sich dazu eine doch recht eindeutige Formulierung:
Unterbleibt die Markierung liegt die Vermutung nahe, daß das Mißverständnis durchaus beabsichtigt war. Zumal sich gut darauf spekulieren läßt, daß nur Überschriften und maximal noch Teaser gelesen werden.
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