Der »Anonyme Schweizer Sammler«

Im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten im Bereich Kunst wird von den Medien immer wieder gerne über anonyme Kunst-Sammler, gerne aus der Schweiz, spekuliert. In deren Auftrag, so wird unterstellt, würden Kunstgegenstände gestohlen und diese Sammler würden sich daran in geheimen Galerien erfreuen. Glaubt man den Berichten in manch spektakulären Fällen, könnte man fast den Eindruck gewinnen, es würde sich bei diesen Sammlern um ein omnipräsentes Phänomen handeln.

Aber, gibt es diese Sammler tatsächlich?

In kurz: Nein.

In etwas länger: Eventuell. Aber wenn, dann handelt es sich um ein sehr sehr seltenes Phänomen. Jedenfalls erklären professionelle Kunstermittler immer wieder, daß sie in ihrer oft langjährigen beruflichen Karriere noch nie auf solch einen Sammler gestoßen wären. Ohne natürlich völlig ausschließen zu können, daß es nicht vielleicht doch so einen Sammler gäbe.

Die allermeisten Kunstwerke, die über längere Zeit ihren Eigentümern entzogen waren und dann auf mehr oder minder spektakuläre Weise wieder auftauchen, haben eine Geschichte von geradezu bizarrer Banalität hinter sich. Mal hingen sie unerkannt in öffentlichen (!) Museen oder Galerien, in Wohnzimmern biederer Familien oder lagen einfach in der Werkstatt eines Restaurators. Jedenfalls waren sie immer weit weg vom Anonymous Swiss Collector.

Eine der seltenen Ausnahmen stellt hier möglicherweise der Fall Cornelius Gurlitt dar. Aber gerade die Einzigartigkeit dieses Falles zeigt, daß er nicht zum Beleg für irgendetwas taugt.

Aber was steckt dann dahinter? — Schließlich gibt es keinen Rauch ohne Feuer!

Ganz profan: Die Praxis der Schweizer Zoll-Freilager. Diese Freilager sind eine sehr alte und im Grunde auch eine sehr nützliche und sinnvolle Einrichtung. Es gibt sie, in der einen oder anderen Form, in praktisch jedem Land. In einem solchen Lager werden Waren und Güter zwischengelagert, die (noch) nicht zur Einfuhr in das jeweilige Land bestimmt sind. Deswegen werden auf die dort gelagerten Waren und Güter auch keinerlei Einfuhr- oder sonstige Steuern erhoben. Bzw., Steuern werden erst dann fällig, wenn die tatsächliche Einfuhr erfolgt. Gezahlt werden muß bis dahin nur eine vergleichsweise niedrige Lagergebühr.

Darüber hinaus: Da (noch) keine Steuerrelevanz gegeben war, interessierte es in der Vergangenheit die Behörden auch nicht so besonders, was da auf dem Territorium  ihres Landes gelagert wurde. Das änderte sich erst im Laufe der Zeit, als es vielen Ländern immer wichtiger wurde, etwaigen kriminellen Warenverkehr zu unterbinden. Zu diesem Zweck wurden diverse internationale Abkommen getroffen, denen die meisten Länder auch beigetreten sind.

Über sehr viele Jahre hinweg lebte die Schweiz von ihrem neutralen Status und dem Ruf als anonymer, sicherer Banktresor, war Zufluchtsort großer Vermögen, ganz egal, ob legal oder illegal erworben. Die Diskretion Schweizer Banken war legendär, wesentliche Teile der Schweizer Wirtschaft bauten darauf auf. Noch heute ist das Schweizer Nummernkonto in aller Munde, auch wenn das Schweizer Bankgeheimnis über die Jahre hinweg immer weiter aufgeweicht wurde.

In der gleichen Tradition leben auch die Schweizer Zoll-Freilager. Auch deren Kunden müssen nur selten unangenehme Fragen befürchten. Zwar kam die Schweiz auch hier nicht umhin, alle möglichen internationalen Abkommen zu ratifizieren — dennoch existiert hier immer noch eine gelebte Praxis des ganz bewußten Wegschauens. Scheint rein formal alles in Ordnung zu sein, gibt es für Schweizer Behörden keinerlei Grund für weitere Nachforschungen.

Dies und ein paar weitere Besonderheiten der Schweizer Zollpolitik und der Gesetzgebung (es ist in der Schweiz bspw. möglich, Eigentum an Hehlerware zu erwerben) macht die Schweizer Freilager natürlich auch für alle möglichen kriminellen Aktivitäten interessant. Formal korrekte aber dennoch völlig dubiose Warendeklarationen und andere Papiere sind recht leicht beschaffbar. Und es existiert eine ganze Reihe von Staaten die großes Interesse daran haben, daß es auch so bleibt. Sei es, um illegale Waffengeschäfte abzuwickeln oder irgendwelche Embargos zu umgehen. Es gibt viele Gründe.

Auch der illegale Handel mit Kunst- und Kulturgütern spielt hier seine unrühmliche Rolle. Nach ein paar spektakulären Fällen wie bspw. die Durchsuchung der Lager von Gianfranco Beccina in Basel oder Giacomo Medici in Genf zeigten sich die Spitzen von Eisbergen. Es wurden Lager ausgehoben, über die Zehntausende illegal erworbener Stücke in die ganze Welt verschoben wurden. Und zwar nicht an irgendwelche halbseidenen privaten Sammler sondern auch an durchaus rennomierte Museen und Auktionshäuser weltweit.

Obwohl auch in der Schweiz mittlerweile Gesetze in Kraft sind die den illegalen Handel mit Kunst- und Kulturgütern unterbinden sollen (Unesco-Konvention von 1970 — in der Schweiz in Kraft seit 2004!, KGTG,  KGTV), waren die Ermittlungserfolge hauptsächlich der Hartnäckigkeit der Tutela Patrimonio Culturale (TCP), einer Spezialeinheit der italienischen Carabinieri, zu verdanken. Schweizer Behörden? — Eher nicht so.

So hat sich in interessierten Kreisen der anonyme Private Swiss Collector über die Zeit zu einem Running Gag entwickelt. Er steht nicht für bestimmte Personen sondern ist vielmehr ein Synomym für den Handel mit Kunst und Kultur aus dubiosen Quellen und zweifelhaften Papieren, oft unter Ausnutzung der speziellen und einmaligen Situation in der Alpenrepublik. Die Herkunftsangabe anonymer Schweizer Sammler sagt mit sehr wenigen Worten sehr viel.

Manche Journalisten greifen diesen Gag gerne auf — allerdings ohne ihn wirklich zu verstehen. Dadurch erwecken sie in ihren Berichten den Eindruck, daß es tatsächlich etliche solcher Sammler geben würde, die für spektakuläre Diebstähle verantwortlich wären. Mag sien, daß es sie gibt. Aber es sind die absoluten Sonder- und Einzelfälle.

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