Wie man Apfelmus macht

Harold E. Edgerton, Bullet through Apple, 1964 Smithsonian American Art Museum

Das Foto von Harold Eugene 'Doc' Edgerton (* 1903, † 1990) lichtet 1964 ein Geschoß vom Kaliber .30 ab, das einen Apfel durchbohrt. Es ist explodierend vor Energie — aber dennoch völlig still und zeigt einen ansonsten unsichtbaren Moment in fesselnden Details. Wenn die sich auflösende Apfelhaut vor einem tiefblauen Hintergrund aufplatzt, gewinnt die Szene eine ruhige, fast skulpturale Schönheit.

Das Bild wird weithin als Kunstwerk gesehen. Noch wichtiger für seinen Schöpfer war jedoch, daß es auch eine Meisterleistung der Elektrotechnik war. Der langjährige Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) illustrierte damit einen Vortrag mit dem berühmten Titel How to make applesauce, in dem er die bahnbrechende Flash-Technologie erklärte, die ihm bei der Aufnahme half.

Edgerton gilt als Vater der Hochgeschwindigkeitsfotografie. Die Verschlußzeiten der Kamera waren zu langsam um eine Kugel einzufangen, die mit rund 1.000 Metern pro Sekunde flog aber seine stroboskopischen Blitze — ein Vorläufer der modernen Blitzlichter — erzeugten so kurze Lichtblitze, daß ein zeitlich gut abgestimmtes Foto in einem ansonsten dunklen Raum aufgenommen werden konnte. Es erweckt den Anschein, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die Ergebnisse sind faszinierend und oft chaotisch.

Das Bild von 1964 ist zu einer der bekanntesten Fotografien des 20. Jahrhunderts geworden. Während frühe Kameraleute mit pyrotechnischen Blitzpulvern experimentiert hatten die metallische Brennstoffe und Oxidationsmittel kombinierten um eine kurze, helle chemische Reaktion hervorzurufen, schuf Edgerton einen elektrischen Blitz, der viel kürzer und leichter zu kontrollieren war. Sein Durchbruch war eher eine Frage der Physik als der Chemie: Nachdem er in den 1920er Jahren am MIT angekommen war, entwickelte er eine mit Xenongas gefüllte Blitzröhre, die bei Anlegen einer Hochspannung für den Bruchteil einer Sekunde Strom zwischen zwei Elektroden springen ließ.

Operation Tumbler-Snapper, 1952 Der wachsende Feuerball einer der Snapper-Explosionen. Aufnahme mit einer Rapatronic-Hochgeschwindigkeitskamera etwa eine Millisekunde nach der Detonation aufgenommen. Der Durchmesser des Feuerballs beträgt etwa 20 Meter.

Als er den Auslöser für sein mittlerweile berühmtes Apfelfoto drückte, hatte Edgerton einen Mikroblitz entwickelt, der anstelle von Xenon reine Luft verwendete. Er hatte schon Jahrzehnte zuvor bekannte Bilder produziert: Kolibris mitten im Flug, Golfschläger, die Bälle trafen und sogar Atombombenexplosionen. (Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Edgerton die Rapatronic – eine schnelle elektronische – Kamera für die Atomic Energy Commission, die die Lichtmenge steuern konnte, die während der Explosionen in die Kamera eindrang.)

Doch es waren seine Bullet-Fotos aus den 1960er Jahren, die einige der Denkwürdigsten wurden. Die Herausforderung bei solchen Fotos besteht nicht so sehr darin einen Blitz zu erzeugen, sondern vielmehr darin, die Kamera genau im richtigen Moment auszulösen. Menschliche Reaktionen sind viel zu langsam, um so ein Foto manuell aufzunehmen. Edgerton benutzte das Geräusch der Kugel selbst als Auslöser. Ein Mikrofon außerhalb des Bildes wurde von der Stoßwelle der Kugel getroffen und löste den Blitz aus. Im Laufe der Jahre haben Edgerton und seine Schüler noch viele weitere Gegenstände wie Bananen, Luftballons und Spielkarten mit einem Gewehr beschossen.

Aber der Apfel — zusammen mit einem Bild eines spritzenden Milchtröpfchens aus dem Jahr 1957 —  wurde zu einer der bestimmenden Fotografien von Edgerton. Der Grund dafür liegt zum großen Teil in seiner Einfachheit, in der sparsamen Requisite, nichts was stört oder ablenkt. Es regt deine Fantasie an … und du verstehst sofort, was es ist.

Harold E. Edgerton, Coronet, 1957, Smithsonian American Art Museum

Aber da ist noch ein weiterer Faktor im Spiel: Edgertons zweifellos vorhandenes künstlerisches Auge. Die kompositorische Schönheit seiner Bilder führte zu Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften auf der ganzen Welt. Über 100 seiner Fotos werden heute im Smithsonian American Art Museum aufbewahrt. Dennoch lehnte Edgerton den zusätzlichen Titel ab. Machen Sie mich nicht zum Künstler, wurde er zitiert. Ich bin Ingenieur. Mir geht es um Fakten, nur um Fakten.

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