Westringkaskade Apfelstädt

Quelle der Apfelstädt unterhalb der Schmalkalder Loibe am Rennsteig Wikipedia

Der Fluss:

Die Apfelstädt ist ein Fluss in Thüringen mit einer Länge von etwa 34 km. Sie entspringt ungefähr fünf Kilometer südwestlich von Tambach-Dietharz unterhalb des Rennsteiges in 728 m ü. NN. Der Fluss stellt im Thüringer Wald die Westgrenze des Flusssystems der Elbe dar. Teile der Apfelstädt sind gemäß der Europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) unter besonderen Schutz gestellt.

Die Apfelstädt durchfließt zehn Gemarkungen: Tambach-Dietharz, Georgenthal (sowie Catterfeld und Hohenkirchen), Herrenhof, Schwabhausen, Drei Gleichen (Seebergen, Wechmar und Wandersleben) (hier Zufluss der Rot), Nesse-Apfelstädt (Apfelstädt, Neudietendorf (Zufluss des Weidbachs aus Mühlberg) und Ingersleben).

Die Ohra ist ihr Hauptzufluss, diese mündet nördlich von Ohrdruf ein. Nahe der zu Ingersleben gehörenden Siedlung Marienthal mündet die Apfelstädt in die Gera, wobei die Mündung bereits auf dem Gebiet des Erfurter Ortsteils Molsdorf liegt.

Neben dem Mittelwasser, das von einer Quelle bei Tambach-Dietharz stammt, wird die Apfelstädt vor allem durch

  • das Schmalwasser (Einmündung südlich von Tambach-Dietharz)
  • die Spitter (Einmündung in Tambach-Dietharz – von der Ebertswiese her)
  • den Rodebach (Einmündung südwestlich von Georgenthal)
  • die Ohra (Einmündung nordöstlich von Hohenkirchen – u.a. von der Talsperre Ohra her)
  • den Schmallgraben (Einmündung östlich von Wechmar – durch den Speicher Wechmar)
  • die Rot (Einmündung in Wandersleben – von Gotha-Siebleben und Kleinrettbach her)
  • den Waidbach (Einmündung in Neudietendorf – von Mühlberg, u.a. Spring, her)

und ein paar kleineren Bächlein gespeist. Das ganze Flusssystem ist von den verschiedenen Quellen und den Niederschlägen im etwa 370 qkm großen Einzugsgebiet abhängig.

Von einem natürlichen Flusslauf kann schon lange keine Rede mehr sein. Der natürliche Verlauf der Apfelstädt und ihrer Nebenflüsschen wurden immer wieder verändert. Eine größere Veränderung geschah im 17. Jahrhundert durch die Ableitung eines Teiles des Apfelstädt-Wassers in den Flößgraben bei Georgenthal. Hiermit werden im Verlauf liegende Teiche gespeist. Anschließend wird das Wasser dem Leinakanal zugeführt, der in Gotha die Parkseen bewässert und die Wasserkunst am Markt speist.

Die wesentlicheren Veränderungen geschahen im 20. Jahrhundert: Mit dem Bau der Talsperre Tambach-Dietharz (Gothaer Talsperre) 1906 wird außer der Apfelstädt auch das zufließende Mittelwasser gestaut. Die Sicherung der Trinkwasserversorgung der Stadt Gotha war der Grund für den Bau der Talsperre.

Die zwischen 1960 und 1966 erbaute Ohra-Talsperre diente und dient der Rohwasserbereitstellung für die Trinkwasseraufbereitung. Zur Vergrößerung des Einzugsgebietes wurden 1973 der Schmalwasserstollen und 1979 der Haselbachstollen gebaut. Der Haselbachstollen führt das Wasser aus dem Haselbach und dem "Langen Grund" (aus dem Einzugsgebiet der Weser) in den Schmalwassergrund. Der Schmalwasserstollen leitet Wasser aus dem Schmalwassergrund zur Ohra-Talsperre ab und ist gleichzeitig die Verbindung vom Haselstollen und der Talsperre Ohra. Nicht benötigtes Wasser aus der Ohra-Talsperre wird an die Ohra abgegeben.

1998 wurde die Schmalwasser-Talsperre in Betrieb genommen. Sie war ursprünglich als Trinkwasser-Talsperre vorgesehen. Die Aufbereitungsanlage für das in der Talsperre gewonnene Rohwasser befand und befindet sich unterhalb der Talsperre Tambach-Dietharz, in die Rohwasser durch den 1995 gebauten Mittelwasserstollen übergeleitet werden kann. Das Trinkwasser wurde damals von dort über zwei Fernwasserleitungen der Stadt Erfurt zugeleitet. Die Talsperre dient auch als Zwischenspeicher für die Trinkwasserversorgung durch den Wasser- und Abwasserzweckverband Gotha sowie einige Landkreisgemeinden.

Das Problem:

Von Anwohnern der Apfelstädt wird seit einigen Jahren ein überdurchschnittlich häufiges Trockenfallen des Flusses beobachtet. Die Anwohner machen hierfür ein verfehltes Wassermanagement, insbesondere die Inbetriebnahme der Westringkaskade verantwortlich. Es wird befürchtet, dass das in die Westringkaskade abgegebene Wasser der Apfelstädt fehlt und dass dadurch deren Ökosystem langfristig geschädigt wird.

Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz hält diese Befürchtungen für gegenstandlos. Für das Trockenfallen werden im wesentlichen drei Gründe angeführt:

  1. Natürliche, jahreszeitlich bedingte Schwankungen,
  2. eine Versinkungsstelle im verkarsteten Untergrund bei Ohrdruf und
  3. eine Verschärfung der Problematik durch lokale Auswirkungen des Klimawandels.

Natürlich ist keiner der drei Gründe völlig von der Hand zu weisen.

Pegel Ingersleben — Wasserstand 1 Jahr
Pegel Ingersleben — Wasserstand 5 Jahre
Pegel Ingersleben — Durchfluss 1 Jahr
Pegel Ingersleben — Durchfluss 5 Jahre

Verkarstung

Gerade Karst-Hydrologie folgt immer auch ihren ganz eigenen, oft nur schwer durchschaubaren Logiken und ist wegen der ihr innewohnenden relativen Dynamik immer wieder für Überraschungen und Seltsamkeiten gut.

Zwischen Hohenkirchen und Schwabhausen hat sich die Apfelstädt im Laufe erdgeschichtlicher Zeiträume tief eingeschnitten und die (sonst sehr weit im Untergrund liegenden) stark zerklüfteten und damit sehr wasserwegsamen Festgesteine des Oberen Muschelkalks erreicht. Weiter flussabwärts zwischen Schwabhausen und Wechmar liegt weiterhin die Gothaer-Arnstädter-Saalfelder Störungszone, die mit ihren tektonischen Verwerfungen die Gesteine des Untergrunds intensiv aufgebrochen und zahlreiche weitere Wasserwegsamkeiten geschaffen hat.

Zusätzlich zu diesem geologischen Anschluss an den großräumigen Grundwasserleiter Muschelkalk (dessen Ausdehnung bis Erfurt und das Wasserwerk Möbisburg reicht) ist das Flussbett in diesem Laufabschnitt ab der Ohra-Einmündung bis hinter Wechmar von extrem wasserwegsamen Kies- und Schotterablagerungen gekennzeichnet.

Bei sommerlich ohnehin niedrigen Abflüssen und einem höchst aufnahmefähigen (riesigen) Grundwasserspeicher versickert ein großer Teil — oder auch das gesamte Wasser — durch die Kies- und Schotterbänke des Flussbettes ungehindert in den höchst aufnahmefähigen Muschelkalkuntergrund oder aber fließ (unsichtbar) im Schotterkörper flussabwärts.

Dieses Phänomen wird Bachschwinde genannt und ist somit ein ganz natürlicher Vorgang. Das Zusammenspiel von Erosion und Umlagerungen des Flussbettes infolge der hohen Fließkräfte der Apfelstädt sowie dieser geologischen Situation hat nicht nur ein besonderes Geotop geschaffen (Schriftenreihe Landkreis Gotha Naturschutz im Landkreis Gotha, Heft 3, Geologische Naturdenkmale und ausgewählte Geotope, Seite 93), sondern auch einen besonderen Naturlebensraum. So ist die Apfelstädtaue unterhalb Wechmars als FFH-Gebiet ausgewiesen.

Beispiel Ilm

Das bekannteste Beispiel für Bach- bzw. Flußschwinden in Thüringen dürfte die Ilm sein: Die Ilm erlebt regelmäßig ein streckenweises Trockenfallen. Schaut man momentan von der Straßenbrücke bei Hetschburg (Weimarer Land), so führt der Fluß trotz Trockenheit Wasser. Zwar wenig aber dennoch. Schon drei Kilometer weiter, bei Buchfart (mit der bekannten überdachten Holzbrücke), liegt die Ilm völlig trocken. Nur noch Staub und ein bisschen vertrocknetes Wassergras. Erst in Oettern taucht der Fluß, wie aus dem Nichts, wieder auf.

Das scheinbare Mysterium ist den geologischen und hydrologischen Gegebenheiten der Region geschuldet. Der Mittellauf der Ilm führt durch ein Muschelkalk-Karstgebiet. In Karstgebieten finden sich Höhlen, Erdfälle, Klüfte, Spalten und "Schlucklöcher", in denen regelmäßig Wasser im Untergrund "veschwindet", welches dann unterirdisch weiter fließt. Karstgebiete sind löchrig wie Schweizer Käse. Der Effekt tritt ganzjährig auf, ist aber bei höherem Wasserstand nicht so augenfällig.

Bei Griesheim, an der Klunkermühle bei bei Dienstedt, am Felsenkeller bei Barchfeld  und bei der Wüstung der Martinskapelle bei Hetschburg finden sich die bedeutendsten Abflüsse. Bei der Klunkermühle wirkt er fast wie der Auslauf einer Badewanne, an der Martinskapelle ist der Abfluß von einem Kiesbett bedeckt und das Wasser "verschindet" eher allmählich. Das Muschelkalkplateau liegt außerdem höher als die umliegenden Formationen, was den Effekt zusätzlich begünstigt. Die Ilm wirkt wie bei eine Dachrinne, das Wasser strebt immer dem tiefsten Punkt zu.

Das Wasser aus den Versinkungen taucht überwiegend in den umliegenden Quellen (Pörzquelle, Bonifatiusquelle oder Oberwillinger Spring) wieder auf. Was hinter Hetschburg versickert, stößt auf tieferliegenden wasserundurchlässigen Buntsandstein, fließt darauf ab und wird fast vollständig hinter Oettern zurück in das Flußbett gedrückt. Allerdings geht auch Wasser der Ilm verloren, wie etwa bei Griesheim. Dort quert eine geologische Störung den Fluß und läßt einen Teil des Wasser in Richtung Wipfra bzw. Saale abfließen.

Durch Beimischung von Salz oder Farbstoffen (sog. Tracerversuchen) wurden schon vor 100 Jahren die Wege des Wassers erkundet. Allerdings sind gerade in Kartsgebieten auch immer wieder Überraschungen möglich.

Um Probleme beim Betrieb der Wassermühlen an der Ilm zu vermeiden, wurde in früheren Zeiten auch schon überlegt, die Ilm umzuleiten und an den Versinkungsstellen vorbei zu führen. Dies stieß allerdings auf den wütenden Protest der Nutzer der durch die Versinkungen gespeisten Quellen.

Klimawandel

Der Klimawandel steht außer Frage und dürfte ganz selbstverständlich auch zu lokalen Auswirkungen führen. Der Klimawandel wird die ohnehin schon vorhandene Phänomene verstärken und dadurch deutlicher sichtbar machen — ohne sie allerdings auszulösen. Allerdings wird — ohne behaupten zu wollen, dass es auch hier so ist — der Klimawandel politischerseits gerne als Ausrede und Entschuldigung für Fehler und Versäumnisse aller Art benutzt (siehe Ahr-Katastrophe 2021).

Die Westringkaskade

Die Westringkaskade ist ein 45 km langes Rohrleitungssystem, welches Wasser von den Talsperren Tambach-Dietharz und Schmalwasser im Thüringer Wald, über ein Gefälle von 290 m in den Norden der Stadt Erfurt transportiert.

Das Projekt Westringkaskade existiert seit den frühen 1980er Jahren und wurde durch die Thüringer Fernwasserversorgung seit 2011 geplant, seither realisiert und 2020 in Betrieb genommen. Das Doppelleitungssystem war ursprünglich zum Transport von Trinkwasser von der Talsperre Tambach-Dietharz und seit 1998 auch der Talsperre Schmalwasser vorgesehen. Aufgrund deutlich gesunkener Nachfrage nach Trinkwasser, werden die beiden Talsperren seit 2005 nicht mehr zur Trinkwasserversorgung durch die Thüringer Fernwasserversorgung genutzt (nur noch die Ohra-Talsperre), so dass eine Leitung das Doppelleitungssystems obsolet wurde.

Seitdem dient die Talsperre Schmalwasser nur noch dem Hochwasserschutz sowie der Erzeugung von regenerativer Energie. Aus der Schmalwasser-Talsperre kann der Talsperre Tambach-Dietharz über den Mittelwasserstollen aber weiterhin Wasser zugeführt werden. Überschüssiges Wasser der beiden Talsperren wurde in die Apfelstädt geleitet.

Das Brauchwasser aus der Westringkaskade wird im Obstanbaugebiet Fahner Höhe zur Bewässerung genutzt. Außerdem wird das Wasser in zwei Wasserkraftwerken zur Erzeugung alternativer Energie verwendet.

Fernwasserversorgungssystem Mittel- und Nordthüringen mit Projektgebiet Westringkaskade
Ausschnitt — Rot: Westringkaskade

Fazit:

Es liegt mir völlig fern, in dieser Diskussion auf der einen oder anderen Seite Stellung zu beziehen. Dafür fehlt mir nicht nur jede Qualifikation sondern außerdem auch noch jede Motivation.

Vielleicht ist alles "ganz normal", vielleicht spielt der Klimawandel eine Rolle, vielleicht ist die Westringkaskade ursächlich, vielleicht ist es auch eine Kombination mehrerer Ursachen, die für das Trockenfallen der Apfelstädt verantwortlich ist. Ich weiß es (auch) nicht.

Warum ich diesen Artikel zusammengestellt habe:

Das Trockenfallen von Flüssen ist ein Phänomen, welches von Jedermann und Jederfrau leicht und einfach beobachtet werden kann. Die Suche nach den Ursachen hingegen ist weder leicht noch einfach, wie der Fall Apfelstädt / Westringkaskade zeigt. Ich hoffe daß es mir gelungen ist, die Komplexizität etwas zu illustrieren.

Nun ist freilich ganz klar, daß nich bei jedem trocken gefallenem Fluß eine Westringkaskade eine mögliche Rolle spielen kann. Aber es gibt in Deutschland kaum einem Fluß, bei dessen Verlauf menschliche Aktivitäten keine Rolle spielen. Die Westringkaskade steht hier insofern nur beispielhaft für mögliche menschliche Einflüsse.

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