Wenn der Galileo abhanden kommt

Daß ein Galileo abhanden kommt, kann schnell passieren. Und das muß noch nicht einmal etwas mit Diebstahl, Raub, Kriegsverlust oder ähnlich unschönen Dingen zu tun haben. Es reicht völlig wenn Nick Wilding beginnt, sich für das Werk zu interessieren.

Wilding ist Historiker an der Georgia State University und bekannt dafür, Fälschungen von Galileo-Manuskripten aufzudecken.

So, wie aktuell in Ann Arbor, Michigan, USA: Eine Manuskriptseite, die angeblich von Galileo Galilei (* 1564, † 1641/1642) geschrieben wurde, galt seit 1938 als eines der wertvollsten Objekte in der Sammlung der Bibliothek der University of Michigan. Aber jetzt kamen die Kuratoren der Bibliothek bei internen Untersuchungen zu dem Schluss, daß das Manuskript tatsächlich eine Fälschung ist — und höchstwahrscheinlich von einem bekannten Fälscher des 20. Jahrhunderts angeferigt wurde.

“It was pretty gut-wrenching when we first learned our Galileo was not actually a Galileo,” Donna L. Hayward, interim dean of the university’s libraries.

Das einblättrige Manuskript soll ein Entwurf eines Briefes vom 24. August 1609 an den Dogen von Venedig sein, in dem Galileo seine Beobachtungen mit einem von ihm konstruierten Teleskop (occhiale) beschrieb und besonders auf dessen Nutzen für die Kriegführung hinwies. Im unteren Teil des Briefes geht es außerdem noch um Beobachtungen der Jupiter-Monde, die (der angebliche) Galileo mit dem Teleskop gemacht haben will.

This single-leaf manuscript is one of the great treasures of the University of Michigan Library. It reflects a pivotal moment in Galileo's life that helped to change our understanding of the universe. In the summer of 1609 Galileo received a description of a telescope which had been developed the year before in the Dutch town of Middelburg by an optician, one Hans Lippershey. Applying his knowledge of optical science, Galileo built such a glass or telescope for himself, and in the draft letter shown below offers his new "occhiale" to the Doge of Venice, pointing out its potential use in warfare. The final letter, revised from this draft, was sent on August 24, 1609. It is in the State Archives in Venice. The lower part of this sheet shows the use to which Galileo put this optical device a few months later. As he viewed the skies on successive evenings in January, 1610, he had noticed several bright objects around Jupiter that changed position from night to night. On this page, he plotted their positions over the course of one week and, when he drew the diagram in the lower right imagining how these movements would look if they were viewed from above Jupiter, he realized that the objects were moons of that planet. This was the first observational data that showed objects orbiting a body other than the earth. — University Library

Die Fälschung wurde (wieder einmal) von Nick Wilding entdeckt. Ihm war aufgefallen, daß es sich eigentlich um zwei verschiedene Briefe auf einem Blatt handeltet — und sich dennoch die Tinte sehr ähnlich war. Das kam ihm merkwürdig vor. Außerdem erregten manche Buchstabenformen und Wortwahlen sein Mißtrauen. Wilding recherchierte weiter und stellte fest, daß es in italienischen Archiven keinerlei Hinweise auf diesen Brief gab, obwohl er doch 1609 in seiner endgültigen Form abgesendet worden sein soll.

Wilding bat die Bibliothek per E-Mail um ein Foto des Wasserzeichens. Dem Kurator der Bibliothek, Pablo Alvarez, wurde schon ziemlich mulmig, als er nur den Namen des Absenders der E-Mail las. Er fotografierte das Wasserzeichen, einen Kreis mit einem dreiblättrigen Kleeblatt und dem Monogramm AS/BMO, und schickte es Wilding.

Das Dokument tauchte erstmals 1934 auf einer Auktion auf, wurde von einem Geschäftsmann aus Detroit gekauft und nach dessen Tod der Universität vermacht. Laut Auktionskatalog war die Echtheit des Dokumentes von dem 1931 verstorbenen Erzbischof von Pisa, Kardinal Pietro Maffi, beglaubigt worden. Dieser hatte es zuvor mit zwei Galileo-Manuskripten aus seiner Sammlung verglichen. Allerdings fand Wilding heraus, daß der Kardinal diese beiden Dokumente von Tobia Nicotra, einem berüchtigten Fälscher aus Mailand bekommen hatte.

Wildings Suche nach dem Monogramm aus dem Wasserzeichen förderte ein weiteres Galileo-Dokument, in der Morgan Library & Museum in New York, zu Tage. Dieses Dokument, ein Brief von 1607 an einen unbekannten Empfänger, stimmte fast genau mit einem Brief überein, den Wilding in italienischen Archiven entdeckte.

Wilding stellte bei weiteren Recherchen fest, daß das Wasserzeichen BMO für die italienische Stadt Bergamo stand und nicht vor 1770 verwendet wurde.

Damit war klar, daß Dokumente mit diesem Wasserzeichen nicht von Galileo Galilei stammen konnten.


Tobia Nicotra aus Mailand ist als professioneller und produktiver Fälscher berühmt und berüchtigt. Er fälschte Briefe und Musikmanuskripte im großen Stil um, neben seiner Ehefrau, zeitweise bis zu sieben Geliebte gleichzeitig zu unterhalten. Die Untersuchung eines dubiosen Mozart-Manuskripts führte im Jahr 1934 zu einer Durchsuchung seiner Wohnung durch die Polizei. Dabei wurden Fälschungen von Lorenzo de' Medici, Christoph Kolumbus und anderen historischen Persönlichkeiten gefunden. Ebenfalls 1934 wurde er zu zwei Jahren Gefängnis und 2.400 Lire Geldstrafe verurteilt. Die Strafe mußte er nicht vollständig absitzen sondern wurde, angeblich auf Betreiben der Nationalen Faschistischen Partei Italiens, vorzeitig entlassen. 1937 wurde er als der tüchtigste Fälscher von Autogrammen bezeichnet. Alleine bis zu seine Verurteilung soll er bis zu 600 Fälschungen fabriziert haben. Vermutlich befinden sich noch Hunderte seiner Werke in Bibliotheken und Archiven und gelten als "echt".

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