Panorama-Holzschneiderei
Das Panorama besteht aus zwölf separat gedruckten Holzschnitten von je ca. 40 x 55 cm Größe. Die Größe ergab sich aus den technischen Möglichkeiten der Herstellung der Druckstöcke und der Papierbögen. Es wurde zu einer Art Historienbild zusammengesetzt welches, im Gegensatz zu den meisten Drucken, nicht in einem Album gesammelt sondern an eine Wand gehängt wurde. Dies wird auch durch die Abwesenheit von Signaturen und dem ursprünglichen Entstehungsdatum (um 1515) auf den einzelnen Blättern bestätigt. Die erhaltenen Abdrücke stammen aus einer späteren Ausgabe, die 1549 vom Verleger Domenico dalle Greche (tätig von 1543 bis 1558) veröffentlicht wurde. Die Erstausgabe ist nur fragmentarisch erhalten.
Der Holzschnitt basiert auf einer Zeichnung des venezianischen Meisters Tizian (wahrscheinlich * um 1488 bis 1490, † 1576). Tizian war nicht nur Venedigs berühmtester Maler der Renaissance, sondern auch ein außergewöhnlicher Grafiker, der maßgeblich an der Entwicklung des venezianischen Holzschnitts beteiligt war. Er entwarf mehrere monumentale Drucke aus mehreren Blöcken, von denen der Untergang der Armee des Pharao im Roten Meer der größte ist. Die kräftigen, expressiven und unregelmäßigen Zeichen des Holzschneiders ahmen seine Zeichenweise nach, die sich stark von der des deutschen Meisters Albrecht Dürer unterscheidet. Während Dürers Holzschnitte Kontrolle veranschaulichen – Kreuzschraffuren und parallele Schattierungslinien sind präzise und gleichmäßig – werden Tizians Linien im venezianischen Stil mit kräftigen Strichen gezeichnet, die mutig und unregelmäßig sind. Besonders ausdrucksstark sind die schnell gezogenen Linien, die die Figuren und Wellen der ertrinkenden Armee bilden. Möglicherweise zeichnete Tizian direkt auf den Druckstock. In einem kreativen Wechselspiel zwischen Stift und Messer erzeugen die von einem erfahrenen venezianischen Holzschnitzer ausgeschnittenen weißen Bereiche eine komplizierte Struktur aus unregelmäßigen Formen, die das dunkle, tödliche Wasser mit Lichtflecken funkeln lassen.
Das Thema von Tizians Komposition ist eine Episode aus dem Buch Exodus, als Moses das Rote Meer teilte, um die Israeliten aus Ägypten zu führen. Tizian stellte den Moment dar, kurz nachdem die Israeliten sicher den Meeresboden überquert hatten. Moses erhebt seinen Stab, um die geteilten Wasser zu schließen und die Armee des Pharao geht in den stürmischen Wellen verloren.
Als große komplexe Komposition spiegelt der Druck die Stärke von Tizians Zeichnung wieder, die die Erzählung über mehrere Holzblöcke hinweg konsequent vorantreibt um zum Ende eine bemerkenswerte Einheit zu erreichen. Die rollenden Wolken und das aufgewühlte Meer kulminieren in der soliden Schwerkraft der großen Klippe, die die Küste überragt.
Vielleicht wurde Tizian von Jacopo de Barbaris wandgroßer Karte von Venedig inspiriert und sein Panorama diente der Propaganda. Tizian könnte in den Ägyptern, die im Roten Meer ertranken als sie die fliehenden Israeliten verfolgten, die Liga von Cambrai gesehen haben. Diese Liga war ein Militärbündnis das von den Großmächten Südeuropas gebildet wurde und eine stete Bedrohung für Venedig darstellte. So wie das Wasser des Roten Meeres die Israeliten von ihren Feinden befreite, beschützte das Wasser der Lagune die Stadt Venedig. Die siegreiche Allegorie hätte bei den Venezianern, als verfeindete Städte oft um die Kontrolle über Territorien und Handelswege kämpften, gewiß großen Anklang gefunden.
Die Inschrift unten links der Mitte erläutert die Szene. Der Verleger verweist in dieser Legende opportunistisch auf die große und unsterbliche Hand Tizians, obwohl der Künstler noch sehr lebendig war.
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