Lenkerschnurrbärte

Henri Rousseau, Artillerymen (Les artilleurs), 1890 Guggenheim

Henri Julien Félix Rousseau (* 1844, † 1910) hatte das Pech, ein Arbeiter-Spätzünder zu sein. Er war ein Sonntagsmaler, der erst im Alter von 40 Jahren ernsthaft zu malen begann. Mit einem, wie seine Kritiker meinten, wenig natürlichen Talent.

Selbstportrait, 1890

Seine unsentimentalen und eindringlichen Bilder zogen dennoch die Aufmerksamkeit einer literarischen und künstlerischen Clique auf sich, die stets nach Neuem hungerte. Wie konnte sich Rousseau, dessen Stil immer noch von herabsetzenden Adjektiven wie naiv und einfach beherrscht wurde, hier durchsetzen? — Wahrscheinlich war es die Freundschaft des ehemaligen Zollbeamten mit einer Legion etablierter Meister, die ihm im Großen und Ganzen seinen Platz in der Geschichte der modernen Kunst sicherte. Rousseau wurde zu seinen Lebzeiten zu einer Art Maskottchen in der relativ kleinen Pariser Kunstszene. Seine erstaunlichen Werke wurden von Guillaume Apollinaire, Alfred Jarry und Pablo Picasso gefeiert. Nur wenige Jahre nach seinem Tod in Armut wurde er auch von Künstlern wie Max Beckmann, Wassily Kandinsky und Fernand Léger entdeckt.

In dem Maße, in dem er zu Lebzeiten nur begrenzten offiziellen Erfolg hatte, kann man sagen, dass Rousseau sich selbst erfunden hat — er stürmte uneingeladen in Ausstellungen und Dinnerpartys und nahm die Haltung eines geehrten Gastes ein  — ebenso wie er Bilder erfand, die ihresgleichen suchten. Gemälde wie Artillerymen und The Football Players wurden als Rousseaus skurrile Versuche interpretiert, die moderne Zeit darzustellen. Sei es mit einer eleganten Militärkompanie oder mit den vier schicken Enthusiasten einer neuen Sportart, Rugby. Es ist ihm anzurechnen, daß es immer noch keine angemessenen Worte gibt um ein Gemälde zu beschreiben, auf dem Rugbyspieler wie Zwillinge im Schlafanzug aussehen oder eines, auf dem 14 identische Lenkerschnurrbärte es schaffen, das temperamentvolle Bild einer Artillerieabteilung zu vermitteln.

Henri Rousseau, Die Rugby-Spieler, 1908

Rousseaus Realität ist nicht abbildhaft, sie wirkt vielmehr wie ein Traum. Die einzelnen Elemente seiner Bilder sind idealisiert aber gleichzeitig auch vereinfacht. Sie treten unverbunden und überraschend nebeneinander. Der Hintergrund ist genauso scharf gesehen wie der Vordergrund. Die Figuren erscheinen in frontaler Sicht oder in strengem Profil. Rousseau liebte klare Konturen und harte Kontraste ohne Übergänge. Er verwendete leuchtende Kontaktfarben ohne Schatten. Schließlich war noch ein anderer Moment der Farbgebung Rousseaus wichtig: der sparsame, überlegte, beinahe anonyme Farbauftrag, der sorgfältig die Pinselspuren verbarg und keine Handschrift verriet. Jede Eitelkeit des Machens war Rousseau fremd. Es ging ihm nicht um die Herstellung malerischer Texturen, sondern um seine Gegenstände.

(Den Begriff Lenkerschnurrbärte verdanke ich Cornelia Lauf, Guggenheim Museum.)

Henri Rousseau, View of Montsouris Park, the Kiosk (Vue du Parc Montsouris, Le Kiosque), um 1909

Das Bild zeigt eine Gruppe von Menschen, die durch den Parc Montsouris schlendern. Das ist einer von den vier Parks, die in den 1870er Jahren in Paris während einer Zeit der umfassenden Stadterneuerung eröffnet wurden. Der Park war ein beliebter Ort und umfaßte einen künstlichen See, den Rousseau hier abgebildet hat.

Die Flächigkeit der Szene läßt den Eindruck entstehen, als würden die Figuren im Vordergrund über eine Bühne gehen und die Landschaft sei auf einen Hintergrund gemalt. Viele Künstler späterer Generationen bewunderten dieses Gefühl der räumlichen Verschiebung, das in Rousseaus Werken oft vorhanden ist.

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