Kaplumbağa Terbiyecisi

Osman Hamdi Bey, Der Schildkrötenerzieher, 1906 Pera-Museum

Die Bedeutung dieses tragikomischen Werkes erschließt sich nur, wenn man etwas zum Hintergrund weiß. Auf den ersten Blick wirkt der Schildkrötentrainer urig und gut komponiert, sonst bleibt eher wenig. Man sieht einen scheinbar weisen alten Mann, der seine Schildkröten etwas zu eifrig betrachtet, die sich aber mehr für die verstreuten Kohlblätter zu interessieren scheinen als für das, was der Erzieher zu sagen hat. Die Details sind offenbar sehr liebevoll gestaltet: die verblassenden Fliesen, der abblätternde Putz und die Falten der Kleidung des alten Mannes. Sein überwiegend rotes Outfit hebt sich von den dunkleren Blautönen der Wand ab, während die Farbe der Schildkrötenpanzer gut gegen die Farbe seines Turbans ausbalanciert ist.

Der Eindruck ändert sich mit dem Kontext. Der Mann ist anachronistisch gekleidet: Sein Gewand ist sehr traditionell und er trägt einen Turban anstelle des Fez, der Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, um den Turban zu ersetzen. Das Bild wurde 1906, also in den letzten Jahrzehnten des sterbenden Osmanischen Reiches gemalt, als das Reich darum kämpfte, sich sowohl politisch als auch wirtschaftlich an die moderne Welt anzupassen. Damit wird klar, daß der Schildkrötentrainer eine zutiefst satirische Darstellung der Ohnmacht des osmanischen Staates ist.

Dieser alte Mann, der seine Schildkröten nicht überzeugen kann, war vielleicht eine allzu treffende Parodie auf das schwerfällige Osmanische Reich. Nur zwei Jahre nach der Ausstellung des Schildkrötentrainers kam es zur jungtürkischen Revolution von 1908 und nur fünfzehn Jahre später zerfiel dieses alte Reich endgültig.

Osman Hamdi Bey (* 1842, † 1920) war ein bemerkenswerter Mann, eine der wichtigsten künstlerischen und kulturellen Persönlichkeiten der türkischen Geschichte. Er war Verwaltungsbeamter, Maler, Schriftsteller, Historiker, Intellektueller und Archäologe. Osman Hamdi Bey absolvierte zunächst eine Anwaltsausbildung in Paris, bevor er seiner künstlerischen Leidenschaft folgte und bei Jean-Léon Gérôme (* 1824, † 1904), Louis Boulanger (* 1806, † 1867) und Fausto Zonaro (* 1854, † 1929) studierte. In einer langen und erstaunlich abwechslungsreichen Karriere arbeitete er an der osmanischen Verfassung von 1876, diente als Bürgermeister von Kadıköy, gründete die Türkische Akademie der Schönen Künste (Sanayi-i Nefise Mektebi) (und wurde ihr Direktor), leitete archäologische Ausgrabungen im gesamten Osmanischen Reich und gründete das Museum für Archäologie (Müze-i Humayun — Museum des Imperiums) in Istanbul. 1906 erhielt er von der Universität Leipzig den Ehrendoktortitel.

1864 heiratete er eine Französin namens Marie, mit der er zwei Töchter hatte. Die Ehe hatte nur zehn Jahre Bestand. Denn 1873 verliebte er sich auf der Wiener Weltausstellung, wohin er beruflich entsandt worden war, in ein 17-jähriges Mädchen, das ebenfalls Französin war und Marie hieß. Er nannte sie Naile und heiratete sie.

Irgendwie fand er zwischen all dem (und vielem mehr) auch noch Zeit zum Malen.

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