Fürchteten sich die Diebe vor dem Fluch des Heiligen Blutes?

Kupferreliquiar der Heilig-Blut-Reliquie Arthur Brand

In der Nacht zum 1. Juni 2022 ließ sich ein Dieb in der Abteikirche von Fécamp in der Normandie einschließen. Er stahl neben einer Reihe kostbarer liturgischer Geräte auch die dort verwahrte Heilig-Blut-Reliquie, die zwei Wochen später in der jährlichen Eucharistiefeier zu ihren Ehren verehrt werden sollte — eine Tradition, die bis ins 10. Jahrhundert zurückreicht. Die Tat wurde am Morgen des 2. Juni entdeckt; die Tür zur Sakristei war von innen her aufgebrochen worden. Der Diebstahl wurde von Msgr. Jean-Luc Brunin, dem zuständigen Bischof von Le Havre, zur Anzeige gebracht und als Angriff auf alle Christen bezeichnet. Die Reliquie besteht aus zwei Bleiampullen mit einigen Tropfen des Blutes Christi, die in einer kupfernen, etwa 30 cm hohen Schatulle (dem Reliquiar) aus dem 19. Jahrhundert verwahrt werden. Das Reliquiar wiederum wurde in einem jahrhundertealten, geschnitzten Marmortabernakel aufbewahrt, der sich in einer Apsiskapelle der Kirche befindet.

Die Stadt Fécamp liegt in der Normandie, direkt am Ärmelkanal. Die der allerheiligsten Dreifaltigkeit geweihte und im normannischen Baustil errichtete Abteikirche, ursprünglich 990 vom normannischen Herzog Richard I. gegründet, aus dem 12. Jahrhundert hatte einen berühmten Abt: Pierre Roger bzw. Peter von Fécamp (* um 1290, † 1352), den späteren Papst Clemens VI. 

Das riesige Kirchenschiff — es ist zwei Meter länger als das von Notre Dame in Paris — diente fast tausend Jahre lang dem Tag und Nacht ununterbrochenen Gotteslob der Benediktinermönche und der Zelebration lateinischen Liturgie. Manchen ist das imposante Bauwerk besser durch den weltweit verkauften Kräuterlikör Bénédictine D.O.M. bekannt, dessen altes Rezept von den Mönchen von Fécamp stammt. Das nachgestellte Akronym steht für die lateinische Weiheinschrift der Abteikirche: Deo Optimo Maximo (deutsch: Gott, dem Besten und Größten).

Schon wenige Tage nach dem Diebstahl kontaktierten der Dieb und sein Komplize den Niederländer Arthur Brand, einen bekannten Kunsthistoriker und Ermittler in Sachen Kunst-Kriminalität, per E-Mail. Sie erklärten, das Reliquiar zurückgeben zu wollen. Brands Diskretion und Verläßlichkeit in solchen Dingen ist wohlbekannt. Er forderte die Diebe auf, das Diebesgut einfach vor seine Haustür zu stellen und zu klingeln. Wenige Tage später war es so weit: Am Freitag dem 8. Juli gegen 22:30 Uhr stand das Paket vor seiner Tür. Brand meint daß die Diebe gar nicht wußten, was sie da gestohlen hatten und was sie damit anfangen könnten. Das wäre ihnen erst dann klar geworden, als sie sich im Internet über das Reliquiar informiert hatten.

Die beiden metallenen Ampullen im Reliquiar enthalten Tropfen jenes Blutes, das Josef von Arimathäa unter dem Kreuz aufgefangen haben soll. Die Verehrung verbindet sich mit der Legende von der Übersiedlung Josefs von Arimathäa nach Britannien. Er soll das Gefäß mit dem Blut ins Meer geworfen haben, damit es nicht in die Hände der Römer fällt. In Frankreich an Land gespült, soll es einen Jahrhundertfrühling ausgelöst haben und wurde fortan dort verehrt. Aufgrund dieser Legende wird die Heilig-Blut-Reliquie auch in Zusammenhang mit den Erzählungen rund um den Heiligen Gral gebracht.

Eine andere Legende sagt, daß die Ampullen mit dem Blut über den Meerweg in die Normandie gekommen sein — und zwar im Stamm eines Feigenbaums, der von Palästina nach Fécamp getrieben wurde. Der Name Fécamp stamm von dem lateinischen Wort fisiacampus, Feld des Feigenbaums.

Möglicherweise war die Reliquie auch ein Mitbringsel aus dem ersten Kreuzzug. Ebenso ist von einem sog. Blutwunder die Rede.

Viele Wunder werden den Reliquien des Kostbaren BlutesPrécieux Sang Christi zugeschrieben und ihre Aufbewahrung war der Anlaß für die Gründung der berühmten Abtei. Pilgerfahrt und die Prozession des Kostbaren Blutes sind ein wichtiger Teil der Geschichte der Stadt Fécamp.

Einige Historiker behaupten, die Volksverehrung für das Kostbare Blut habe aber erst mit der Erfindung der zweiten Reliquie im 12. Jahrhundert Fahrt aufgenommen. Sie wurde der Überlieferung nach um 1170 bei Wiederaufbauarbeiten der durch einen Brand zerstörten Abtei entdeckt. Um die Kirche wiederaufzubauen, brauchte man viel Geld, so daß die Entdeckung genau richtig kam. Und tatsächlich  gab es bald mehrere Wunderberichte und es entwickelte sich eine einträgliche Wallfahrt, die erst im 14. Jahrhundert einen Niedergang erlebte.

Als den Dieben klar wurde, was sie für eine machtvolle Reliquie in ihren Besitz gebracht hatten, gerieten sie in Panik. Beide befürchteten, daß von dem mit roten Linien geschmückten Kupferreliquiar angesichts der mehr als tausend Jahre währenden Verehrung seines kostbaren Inhalts durch unzählige Gläubige ein Fluch ausgehen und sie treffen könnte.

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