Die Hand Gottes

Jean Fouquet, Die rechte Hand Gottes schützt die Gläubigen vor den Dämonen, ca. 1452/60 MET

Das Stundenbuch des Étienne Chevalier ist eine der berühmtesten und reich illuminierten Handschriften des 15. Jahrhunderts. Gemalt wurde es für den Schatzmeister von Frankreich von Jean Fouquet (* ca. 1425, † ca.1478), Hofmaler der Könige Karl VII. und Ludwig XI., der nicht nur als Miniaturmaler, sondern auch als Tafelmaler tätig war. Die Miniatur ziert die Seite, die die Eröffnungsworte des Abendgebets (Vesper) für die Stunden des Heiligen Geistes enthält. Es zeigt die Gläubigen, die im Vordergrund auf einer Terrasse stehen und auf die Hand Gottes blicken, während Dämonen nach links und rechts fliehen.

Das Thema ist für ein Stundenbuch ungewöhnlich, ebenso wie die topographisch genaue Darstellung des mittelalterlichen Paris, in der die Kathedrale Notre Dame, die Turmspitze von Saint-Chapelle, der Pont Saint-Michel und andere Monumente der Île de la Cité (einschließlich des Hôtel de Nesle, wo die Figuren stehen) erkennbar sind.

Ein Stundenbuch, auch Horarium (lateinisch horarium "Uhr"), französisch Livre d’heures, war ein im Aufbau dem Brevier der römisch-katholischen Kirche nachempfundenes Gebet- und Andachtsbuch für das Stundengebet. Stundenbücher waren zunächst für Laien bestimmt, später auch für Kleriker. Sie kamen Mitte des 13. Jahrhunderts in England auf und verdrängten den Psalter aus seiner beherrschenden Rolle als Gebetbuch. Im Spätmittelalter waren sie in Kreisen des reichen, lesekundigen Adels und Stadtadels das private Andachtsbuch schlechthin. Der Buchtyp erlebte seine verbreitungsmäßige und künstlerische Blütezeit im späten 14. und im 15. Jahrhundert in Frankreich und Flandern – daher auch die Bezeichnung Livre d’heures. Später kamen sie über die Niederlande auch in das deutschsprachige Gebiet.

Stundenbücher waren meist aufwendig mit Buchschmuck versehen. Kernstücke der Stundenbücher bildeten ein marianisches Offizium und das Totenoffizium. Die Bezeichnung Stundenbuch leitet sich ab von den darin enthaltenen, zu bestimmten Stunden zu betenden Tagzeiten. Ursprünglich beginnend um Mitternacht mit der Matutin, welche aus praktischen Gründen im Laufe der Jahre mit den Laudes um drei Uhr morgens zusammengefasst wurde, betete man im dreistündigen Rhythmus ab sechs Uhr morgens Prim, Terz, die Sext, die Non, die Vesper und die Komplet.

Das Stundenbuch des Étienne Chevalier wurde wahrscheinlich nach Fouquets Rückkehr aus Italien 1448 und vor 1457 vollendet. Die Buchmalereien zeigen Fouquets meisterhafte Beherrschung der räumlichen Darstellung und Lichtführung und gelten wegen der Lebendigkeit und Originalität der Miniaturen nicht nur als ein Hauptwerk des Künstlers, sondern der Buchmalerei des 15. Jahrhunderts schlechthin. Im Gegensatz zu späteren Handschriften führte Jean Fouquet fast alle Illustrationen eigenhändig aus, da er zu dieser Zeit noch nicht über eine leistungsstarke Werkstatt verfügte.

Das Stundenbuch blieb in der Familie Chevalier, bis es Ende des 18. Jahrhunderts verkauft und auseinander geschnitten wurde, so dass heute nur noch 47 einzelne Miniaturen erhalten sind, von denen die meisten bis zum Bildrand beschnitten und auf Holztafeln aufgeklebt sind. Vierzig Blätter gelangten aus dem Besitz der Familie Brentano, die sie 1805 in Basel erworben hatte, in das Musée Condé im Schloss Chantilly. Sieben weitere Miniaturen befinden sich in der Bibliothèque nationale de France, im Louvre und im Musée Marmottan in Paris, in der Londoner British Library und in Upton House sowie im New Yorker Metropolitan Museum.

Comments