Die »Römische Caritas«

Artemisia Gentileschi, Caritas Romana, circa 1643 Foto: Carabinieri Cultural Heritage Protection Squad

Die Römische Caritas ist ein Gemälde der italienischen Malerin Artemisia Gentileschi (* 1593, † nach 1654). Gentileschi gilt als die bedeutendste Meisterin des italienischen Barock. Sie ist auch eine wichtige Vertreter des Caravaggismus, der durch seine lebensnahe Darstellungsweise und dramatischen Lichteffekte beeindruckt. Ihre Werke gehören zu den begehrtesten Objekten der Kategorie Alte Meister auf dem internationalen Kunstmarkt.

Das Bild war vermutlich ein Auftragswerk für den Grafen Giangirolamo II Acquaviva d’Aragona, entstand um 1643/1644 und war in dessen Nachlass dokumentiert. Es zeigt eine erwachsene Frau, die ihrem Vater im Gefängnis die Brust gibt. Die Szene geht auf eine Legende des Valerius Maximus zurück: Cimon, zum Hungertod im Gefängnis verurteilt, wird von seiner Tochter Pero mit Muttermilch heimlich am Leben erhalten. Als das schließlich herauskommt, wird Cimon begnadigt und Pero später ein Tempel errichtet. Schon in der Antike war diese Geschichte in verschiedenen Versionen weit verbreitet. 1362 wurde sie durch Boccaccio in seinem Werk De claris mulieribus (Von den berühmtesten Frauen) wieder aufgegriffen und entwickelte sich über kirchliche Predigten zu einem beliebten Bildsujet des Barock, das die Nächstenliebe und die Barmherzigkeit veranschaulicht.

Bis vor wenigen Jahren soll sich das Gentileschi zugeschriebene Bild in baresischem Familienbesitz, zunächst auf Schloss Conversano, anschließend auf Schloss Marchione, befunden haben.

Die gegenwärtigen Besitzer des Werks, die Erben Michele Forte und Domenico Iannuzziello, werden beschuldigt, sich 2019 die Ausfuhrgenehmigung des Kultusministeriums in Genua durch falsche, mangelhafte und irreführende Angaben erschlichen und anschließend das Bild nach Österreich ausgeführt zu haben. Angeblich haben sie die Zuschreibung des Werks an Artemisia Gentileschi verschleiert und einen weit niedrigeren als den tatsächlichen Schätzwert angegeben. Das Kultusministerium hatte daraufhin die Genehmigung 2020 wieder aufgehoben und die Ausfuhr als illegal eingestuft. Bei der anstehenden Versteigerung wurde ein Preis von über 2,0 Mio. € erwartet.

Auf Veranlassung der italienischen Carabinieri Cultural Heritage Protection Squad und in Zusammenarbeit mit der European Union Agency for Criminal Justice Cooperation (Eurojust) wurde das Bild Mitte April 2022 im Wiener Dorotheum durch das Wiener Landeskriminalamt sichergestellt und mittlerweile nach Bari zurückgeführt.

Das Palais Dorotheum gehört zu den Top-Umschlagplätzen für Werke von Artemisia Gentileschi. 2018 erzielte hier die zuvor auf 400.000 bis 700.000 € geschätzte Lucretia von Gentileschi immerhin 1,88 Mio. €.

Zweifelhafte Angaben in Ausfuhranträgen sind allerdings kein prinzipieller Hinweis auf illegale Machenschaften. Gerade auf Bildern Alter Meister fehlt häufig eine Signatur und ihre Dokumentation und Publikation erfolgte eher sporadisch. Meist bedarf es umfangreicher, detaillierter und damit aufwändiger Forschung für eine sichere oder doch wenigstens wahrscheinliche Zuschreibung. Nach Angaben des Dorotheum lautete sie im konkreten Fall "Artemisia Gentileschi und/oder Onofrio Palumbo zugeschrieben, vormals Massimo Stanzione zugeschrieben". Wahrscheinlich wird die Affaire zum Beginn eines längeren Rechtsstreits werden.

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