Die Frau № #11

Ruja Ignatova alias »Crypto-Queen«

1949 wollte ein amerikanischer Journalist einen Artikel über die meistgesuchten mutmaßlichen Kriminellen der USA schreiben und fragte deswegen beim FBI an. Zurück kam eine Liste mit zehn Fällen, die aus Sicht des FBI besonders spektakulär waren. Der Artikel wurde sehr beliebt und der damalige FBI-Direktor Hoover entschloß sich, das als Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen.

So entstand 1950 die Liste der Ten Most Wanted.

Über mittlerweile mehr als siebzig Jahre hinweg schafften es mehrere hundert Gesuchte auf diese Liste. Die allermeisten von ihnen wurden tatsächlich gefaßt bzw. ihr Aufenthaltsort wurde ermittelt. Vermutlich auch deswegen, weil es für das FBI schlichtweg eine Frage der Ehre ist.

Frauen sind auf der »Ten Most Wanted« sehr deutlich unterrepräsentiert. Erst in diesem Jahr, 2022, wurde der elften Frau überhaupt diese zweifelhafte Ehre zuteil: Dr. Ruja Ignatova, genannt die Crypto-Queen.

Ruja Ignatova wurde 1980 in Russe (Bulgarien) geboren. 1990 zog sie mit ihren Eltern nach Deutschland, ins beschauliche Schramberg im Schwarzwald. Dort lebte die Familie in bescheidenen Verhältnissen in der Marktstraße. Nach dem Besuch der Grundschule (sie übersprang eine Klasse) in Schramberg legte sie 1999 dort auch ihr (sehr gutes) Abitur ab. (Leistungskurse Deutsch und Biologie.) Ehemalige Mitschüler schildern sie als einzelgängerisch, egomanisch, vorteilsbedacht und insgesamt eher unsymphatisch. Viele Freunde scheint sie nicht gehabt zu haben. Aber auch ihr extravagantes Auftreten blieb im Gedächtnis haften.

Anschließend studierte sie in Konstanz und wurde dort 2005 in Rechtswissenschaften promoviert. Angeblich hat sie außerdem einen Abschluss in Rechtswissenschaften der Universität Oxford mit dem Titel Magister Juris in European and Comparative Law und einen Master-Abschluss der Wirtschaftswissenschaften der Fern-Uni Hagen.

Ende 2014 gründete sie zusammen mit einem Partner die Firmen OneCoin Ltd in Dubai und OneLife Network Ltd in Belize. Das Hauptgeschäft der OneCoin Ltd lag im Verkauf von Schulungsmaterialien für Wertpapiergeschäfte im Preisbereich von 100 € bis über 100.000 € (manchen Quellen zufolge bis über 200.000 €). Jedes verkaufte Paket enthielt außerdem sog. Token (eine Art virtuelle Wertmarken), mit denen das Schürfen (Mining) einer Crypto-Währung, des sog. OneCoin, möglich sein sollte. Dieser würde, lt. Ruja Ignatova, die weltweite Krypto-Währung Nummer 1 werden. Eine Währung "für alle", mit der man "überall auf der Welt" bezahlen könne. Quasi die Superwährung schlechthin, ein Bitcoin-Killer. Nicht nur hohe Renditen für Investoren wurden versprochen. Das digitale Geld sollte auch helfen, daß Millionen von Menschen in unterentwickelten Ländern Afrikas und Asiens Zugang zu finanziellen Dienstleistungen bekommen würden. Je teurer das Schulungspaket war, desto mehr dieser Token enthielt es.

Zu jener Zeit erlebten Krypto-Währungen gerade ihren ersten Hype, da kamen Worte wie Werde Teil der finanziellen Revolution sehr gut an. Es herrschte Goldgräberstimmung. Ruja Ignatova trat als Gründerin und Macherin von OneCoin auf der gesamten Welt in Erscheinung. Es gibt viele Videos, in denen sie in vollen Hallen potentielle Investoren mit Versprechungen begeistert. Sie nahm an Konferenzen teil und veranstaltete ausschweifende Partys. Coin Rush nannte sie diese Touren. Ein Höhepunkt dürfte zweifellos ihr Auftritt 2016 in der Londoner Wembley Arena vor mehreren tausend Menschen gewesen sein. Der Kult um Ruja Ignatova nahm bisweilen fast sektenartige Züge an. This Girl is on Fire war ihre Einlaufmusik bei ihrem Wembley-Auftritt.

Der Haken: OneCoin ging nie an den Start. Das sollte erst dann geschehen, wenn ein gewisses Volumen erreicht war. Ungeduldige Investoren wurden immer wieder vertröstet und dazu angehalten, weiteres Startkapital in die vermeintliche Währung zu stecken. Und eine eigene virtuelle "Börse" wurde eingerichtet, auf der OneCoins in begrenztem Umfang gehandelt und in reales Geld umgetauscht werden konnten. Das täuschte Aktivität vor.

Nebenbei hatte OneCoin ein gigantisches Netzwerkmarketing (einen "Strukturvertrieb") aufgebaut: Wer Schulungsmaterial kaufte und anschließend weiter verkaufte, OneCoin insofern weitere "Investoren" zuführte, erhielt dafür nicht nur eine Provision sondern konnte in der Hierarchie auch immer weiter nach oben steigen, bekam immer höhere Gewinne für den Fall versprochen, daß OneCoin starten würde.

Alleine eine deutsche Firma aus dem Münsterland soll innerhalb nur eines Jahres etwa 360.000.000 € eingenommen und an OneCoin weitergeleitet haben. (Das BKA geht von über 20.000 bis 60.000 deutschen Geschädigten aus.) Das Geld selbst verschwand in einem undurchdringlichen Netz miteinander verflochtener Firmen.

Ruja Ignatova auf der Fahndungsliste des BKA

Auf dem Höhepunkt 2016 begann aber auch gleichzeitig der Niedergang von Ruja Ignatova und dem OneCoin.

Nach diversen Unregelmäßigkeiten wurden immer mehr Investoren mißtrauisch und wollten sich nicht länger vertrösten lassen. Auch wurden immer mehr Behörden verschiedener Länder auf OneCoin aufmerksam und unterbanden Aktivitäten in diesem Zusammenhang. Immer deutlicher kristallisierte sich heraus, daß es sich bei OneCoin um ein Ponzi-Scheme, ein klassisches Schneeballsystem, ein Pyramidenspiel handelte. Eine sog. Blockchain, an sich ein zentrales Element einer jeden Crypto-Währung zum Nachvollziehen der Transaktionen, hatte für OneCoin offenbar nie existiert. Aber Ruja Ignatova ließ sich davon nicht beirren. Sie reiste weiter um die Welt, feierte Partys und warb für ihren OneCoin.

Bis zum 25. Oktober 2017. An diesem Tag flog sie mit Ryanair von Sofia nach Athen. Ungewöhnlich für eine Frau, die sonst im Privatjet reiste und sich bevorzugt im Rolls-Royce chauffieren ließ. In Athen verliert sich ihre Spur, seitdem ist sie verschwunden. Dr. Ruja Ignatova ist untergetaucht.

Das FBI schätzt den Gesamtschaden auf über 4.000.000.000.000 US-Dollar.

Ob die Fahndung auf der Ten Most Wanted von Erfolg gekrönt sein wird? — Durchaus möglich denn, siehe oben, für das FBI ist ihre Ergreifung jetzt eine Frage der Ehre …

Ruja Ignatova auf einem Poster der Ten Most Wanted des FBI

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