Der Rembrandt mit dem rotem Barett
Rembrandt, herausgeputzt und selbstbewußt blickt er mit seinen 37 Jahren aus dem Bild. Das lange Zeit verschollene Selbstportrait von Rembrandt Harmenszoon van Rijn (* 1606, † 1669) aus dem Jahr 1643 wird vom 29. November 2022 bis zum 29. Januar 2023 im Museum »Escher im Palast« Den Haag ausgestellt. Seit 1898, also mittlerweile seit fast 125 Jahren, war das Gemälde nicht mehr in den Niederlanden zu sehen, seit 1967 war es für die Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr zugänglich. Den Anlaß für dieses Ereignis bilden neue Forschungsergebnisse zur Geschichte des Gemäldes, die der niederländisch-amerikanische Kunsthistoriker und Rembrandt-Spezialist Gary Schwartz zusammengetragen hat.
1823 erwarb der spätere König Willem II. (* 1792, † 1849) das Bild. 1839 kam es von Brüssel nach Den Haag, wo es ab 1842 im neuen Gotischen Saal des Palais Kneuterdijk hing. Nach dem Tod Willems II. wurde seine Gemäldesammlung 1850 versteigert.
Das Gemälde wechselte den Besitzer und kam in das Palais Lange Voorhout (heute: Museum Escher im Palast), das sich damals im Besitz von Willem Frederik Hendrik (* 1820, † 1879), Prinz von Oranien, bekannt als Hendrik der Seefahrer, befand.
Die weitere Geschichte des Gemäldes liest sich kompliziert. Als Hendriks Schwester, Prinzessin Sophie Wilhelmina Sophie Marie Luise von Oranien-Nassau (* 1824, † 1897), die 1842 ihren Cousin, den nachmaligen Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (*1818, † 1901) heiratete und so zur Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach wurde, war das Bild eines der Hochzeitsgeschenke. Mit der Prinzessin kam es nach Weimar. Dort hing es in den Großherzoglichen Sammlungen bis es der Erbe des Großherzogs Karl August (* 1844, † 1894), Wilhelm Ernst (* 1876, † 1923), dem Großherzoglichen Museum — dem späteren Landesmuseum — vermachte.
In der Nacht auf den 10. April 1921 wurde neben anderen Bildern auch der Rembrandt bei einem Einbruch ins Landesmuseum gestohlen. Die Diebe waren an einem Blitzableiter am Gebäude empor geklettert und durch ein Fenster im Obergeschoß eingedrungen. Zwar wurde später behauptet zwei Männer, der Kaufmann Rost und der Schlosser Schumann, hätten den Einbruch gestanden aber das Bild wurde trotz einer Belohnung von 100.000 RM nicht wieder aufgefunden.
Von da an wurde die Spur für über zwei Jahrzehnte kalt.
1945 tauchte Anna Cunningham am Dayton Art Institute in Ohio auf und übergab das Gemälde dem seinerzeitigen Direktor Siegfried Weng. Der erkannte die Herkunft des Bildes — inzwischen stark beschädigt — sofort, vermutete aber einen Diebstahl im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Anna Cunningham erzählte daß ihr Ehemann, der Klempner Leo Ernst das Bild 1934 nach einem Saufgelage mit einer Gruppe deutscher Seeleute im Hafen von New York am nächsten Morgen in seinem Hotelzimmer gefunden hätte. Zusammen mit zwei weiteren Bildern. Ohne Erinnerung, wie er zu den Bildern gekommen war. Aber sein Geld, 2.000 $, war auch weg. Er hatte Angst, in irgendeine illegale Geschichte verwickelt worden zu sein, versteckte den Rembrandt in einem Schrank und versuchte, den ganzen Vorfall zu vergessen..
Nachdem Weng das Bild kurz im Art Institute ausgestellt hatte gab er es auf Anraten von Francis Henry Taylor, dem damaligen Direktor des Metropolitan Museum of Art in New York, an die Art Looting Investigation Unit in Washington DC weiter, die damals von Charles Henry Sawyer, einem der Monuments Man, geleitet wurde. Das Bild wurde als Feindesgut nach dem Trading with the Enemy Act beschlagnahmt und 20 Jahre lang in der National Gallery of Art in DC aufbewahrt
1965 entschied Präsident Lyndon B. Johnson daß es an der Zeit sei, weitere während des Krieges beschlagnahmte Kunstwerke zurück zu geben. 1967 kam das Bild wieder nach Deutschland und sollte in das Museum in Weimar (damals noch DDR!) zurückkehren. Aber als es zurück in Deutschland war, meldete plötzlich eine weitere Erbin, die Erbgroßherzogin Elisabeth von Sachsen-Weimar-Eisenach (* 1912, † 2010), Besitzansprüche an — und hatte Erfolg! Wieder verschwand das Portrait aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. 1983 kaufte es der bayerische Unternehmer Johann Eller, der auch Schwartz' Nachforschungen in Auftrag gegeben hatte.. Seitdem befindet es sich in Ellers Privatsammlung.
Schwartz stützt sich für sein Buch auf zahlreiche bislang unveröffentlichte Dokumente aus dem Archiv des niederländischen Königshauses und der National Gallery of Art in Washington, aus Archiven amerikanischer und deutscher Behörden und deutscher Gerichte sowie die Privatkorrespondenz zwischen Erbgroßherzogin Elisabeth von Sachsen-Weimar-Eisenach und dem deutsch-amerikanischen Rembrandt-Kenner Jakob Rosenberg. In seinem Buch »Rembrandt met rode baret — De wilde avonturen van een bezadigd zelfportret« (engl. »Rembrandt in a Red Beret — The Vanishings and Reappearances of a Self-portrait«) beschreibt Schwartz das Schicksal dieses Kunstwerkes. Das Buch erscheint am 12. Dezember 2022 bei WBooks, ISBN 9789462585171.
Übrigens: Bis 1969 bestand keinerlei Zweifel daran, daß es sich bei dem Portrait um einen echten Rembrandt handelt. Dann allerdings stellte der renommierte deutsch-niederländische Kunsthistoriker Horst Gerson die These auf, daß es von Ferdinand Bol stammen oder in seinem Umfeld entstanden sein könnte. Auch wenn diese Sicht zuerst als abwegig galt, setzte sich das Rembrandt-Forschungsprojekt (Rembrandt Research Project, RRP) ernsthaft damit auseinander und kam zu der erstaunlichen Feststellung, das Bild sei ein Imitat aus dem 19. Jahrhundert. Weitere Untersuchungen 2005 ergaben, daß es wahrscheinlich aus Rembrandts Werkstatt stamme. Rembrandt-Zuschreibungen sind sehr knifflig. In acht bisher veröffentlichten Katalogen schwankt die Zahl der autographen Gemälde zwischen 614 und 330, was einen erheblichen Einfluß auf ihren Wert hat.
Schwartz hält die Zweifel an der Urheberschaft für unbegründet. Er meint, daß sie durch die nach dem Diebstahl in Weimar erlitten Beschädigungen und nachfolgende unsachgemäße Restaurierungen entstanden wären.
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