Der mysteriöse Wasserstand des Gardasees

Screenshot 03.06.2023

Die Auswirkungen der starken Trockenheit in Italien werden deutlich sichtbar. Der Wasserstand des Gardasees hat sich innerhalb eines Jahres halbiert.

Halbiert?! — Ernsthaft? — Das wäre ja mehr als krass!

Der Gardasee (italienisch Lago di Garda oder Benaco) ist der größte See Italiens und ein beliebtes Urlaubsziel. Er hat eine mittlere Tiefe von 133 Metern und eine maximale Tiefe von 346 Metern. Sein Volumen beträgt immerhin fast 50 km³ Wasser. Wo ist das ganze Wasser hin? Was ist dort jetzt? Ein großer Abgrund?

Auch andere Medien haben ähnliche Hiobs-Botschaften:

ntv spricht gar von einer Mondlandschaft:

Das RND — RedaktionsNetzwerk Deutschland — meinte immerhin schon am 21. Februar 2023, der Gardasee wäre bei nur noch 35% seiner Speicherkapazität angelangt:

Meldung vom 21.02.2023 — Screenshot vom 03.06.2023

(Einen ähnlichen Unsinn hatte auch der Stern verbreitet — mittlerweile aber korrigiert.)

Merkwürdig nur, daß zurückkehrende Gardasee-Urlauber eigentlich nichts Ungewöhnliches berichten. Ein halbierter Wasserstand hätte denen doch auffallen müssen! Aber nein: Alles scheint wie immer.

Gardasee Mitte Juni 2023, Foto Rainer Meyer/Don Alphonso via Twitter

Gibt es zu einem Ereignis keine glaubhaften Augenzeugen — wenn es welche geben könnte oder gar müßte — dann ist immer höchste Vorsicht geboten. Denn auch die dem tz-Artikel beigefügten Satelittenbilder geben diesbezüglich nichts her:

Juni 2022 (l.) und März 2023 (r.) Spot/Airbus DS 2023/dpa

Beide Fotos sind verschieden, klar. Einmal im Juni und einmal im März aufgenommen. Also mit neun Monaten Abstand. Wahrscheinlich auch noch zu unterschiedlichen Tageszeiten. Verschiedene Sonnenstände und damit verschiedene Beleuchtungsverhälnisse sorgen für verschieden aussehende Bilder. Was die Aufnahmen zeigen sollen, ist unklar. Den angeblich halbierten Wasserstand jedenfalls nicht.

Das Rätsel löst sich weiter unten im Artikel:

Die Wasserstände des Gardasees sind extrem niedrig. Im Vergleich zum Vorjahr hat der Stand sich halbiert. Laut Angaben der Comunità del Garda liegt er aktuell bei 46 Zentimetern. Im vergangenen Jahr im gleichen Zeitraum lag er noch bei 99 Zentimetern.

46 Zentimeter sind so ungefähr die Hälfte von 99 Zentimetern. Halbiert! Also doch?!

Nein. Nicht der Wasserstand sondern lediglich der Pegelstand, also die Höhe des Wasserspiegels gegenüber dem Pegelnullpunkt.

Dieser Nullpunkt des Pegels bei Peschiera del Garda wurde willkürlich als Referenzpunkt festgelegt. Typischerweise liegen solche Nullpunkte leicht unterhalb der durchschnittlichen Niedrigststände. In den Jahren 2003 und 2007 wurden mit jeweils 8 cm unter Pegelnull Tiefststände erreicht. Einen Höchststand gab es am 2. Juli 1879 bei 216 cm über Pegelnull. 1960 stand der Pegel wegen der Öffnung des Etsch-Gardasee-Tunnels bei 212 cm.

Heute, am 17.06.2023, liegt der Pegel wieder genau im Schnitt der Messungen seit 1950 (dem Beginn):

Der Wasserstand des Gardasees selbst unterliegt einmal starken saisonalen Schwankungen. Sein Wasser wird außerdem über seinen Abfluss Mincio zur Bewässerung der intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen zwischen Verona und Mantua genutzt und es erfolgt eine Wasserentnahme für die Stromerzeugung im Oberlauf der Sarca. Damit unterliegt der tatsächliche Wasserstand  des Gardasees zusätzlich auch starken menschlichen Einflüssen. Deswegen ist er als Referenzpunkt zur Beobachtung des Klimawandels völlig ungeeignet.

Die Geschichte zeigt auch einen typischen Kommunikations-Fehler: Eine absolute Veränderung (in cm) wird relativ (in %) dargestellt. Das macht es ganz leicht, die Referenzklasse zu verwechseln. So wird aus dem Pegelstand der Wasserstand.

Medien warnen gerne vor Fake-News. Manche liefern diese allerdings gleich selbst. Ohne es zu bemerken? — Normalerweise hätte auffallen müssen, daß ein so großer See wie der Gardasee nicht plötzlich halb leer sein kann. Wo soll das Wasser hin sein? Was ist jetzt dort? Ein großes Loch?

Wahrscheinlich traf die initiale Meldung auch zu gut die Erwartungen in manchen Reaktionen. Die mediale Omnipräsenz des Klimawandels (Katastrophe!) macht fast jedes Ereignis irgendwie denkbar und damit möglich. Da werden dann auch etwaige Bedenken gerne mal zur Seite gewischt.

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