Das Mysterium des »Heiligen Feuer«

William Holman Hunt, Das Mysterium des Heiligen Feuers, 1892/99

Das Wunder des Heiligen Feuer ereignet sich nach Überzeugung orthodoxer Christen alljährlich am Nachmittag gegen 14:00 Uhr Ortszeit des Karsamstag in der Jerusalemer Grabeskirche. Von diesem Phänomen wird seit dem achten Jahrhundert berichtet, Kreuzfahrer machten es auch in der West-Kirche bekannt. Der russische Abt Daniel beschrieb das Wunder und seine Rituale ausführlich in seinen Reisebeschreibungen aus dem Jahren 1106/07. Laut Abt Daniel handelt es sich beim Heiligen Feuer um eine Lichtsäule über der Grabplatte, an der sich eine Kerze in der Hand des orthodoxen Patriarchen entzünden lasse. Nach dem Verlassen der Grabkammer wird das Feuer an die wartenden Gläubigen weitergegeben. Viele Kerzen und Öllampen sollen sich auch von selbst entzündet haben.

Das Heilige Feuer soll keinen natürlichen Ursprung besitzen und in seinen ersten Minuten nicht sengen. Das Feuer entsteht nur an den orthodoxen Ostern und nur in Gegenwart des Jerusalemer Patriarchen der östlich-orthodoxen Kirche (oder eines Stellvertreters). Eine Scharlatanerie soll durch die vorherige amtliche Versiegelung des Grabes und eine Durchsuchung des Jerusalemer Patriarchen auf Streichhölzer, Feuerstein oder andere Zündmittel ausgeschlossen werden. Erst danach betritt er die Heilig-Grab-Ädikula (im Inneren der Ädikula befindet sich die eigentliche Grabkammer). 

Man folgt hier einer alten Tradition: Nach der Grablegung Jesu versiegelten die Römer das Grab um zu verhindern, daß der Leichnam gestohlen werde. So wollten die Römer der Behauptung, Jesus sei von den Toten auferstanden, vorbeugen.

Obwohl das Ereignis seit Jahrhunderten auch als Betrug betrachtet wird, wohnen der Zeremonie die Hierarchien der verschiedenen in Jerusalem ansässigen christlichen Konfessionen und einige zehntausend christliche Pilger bei.

Nach dem Volksglauben steht in dem Jahr, in dem das Heilige Feuer nicht herabsteigt, das Ende der Welt bevor.

Warten auf das Heilige Feuer, 1941

William Holman Hunt (* 1827, † 1910), bekannt als Maler religiöser Motive, unternahm vier Reisen ins Heilige Land. Es ist schwer zu sagen, was der gläubige Anglikaner von dem Spektakel hielt. Vermutlich fand er die Szene mit ihrer Masse an Körpern geschmacklos und ketzerisch, wollte aber dennoch ihre dramatischen, historischen und malerischen Qualitäten einfangen. Als das Gemälde 1899 in London ausgestellt wurde, musste er einen Schlüssel zu dem komplexen Figurenwerk liefern. Die Flamme, die von einem Priester rechts vom Schrein getragen wird, ist kaum sichtbar. Eine Engländerin unten rechts, die ihre Kinder vor dem Spektakel schützt, dient als Stellvertreterin für den neugierigen Betrachter und als Kontrast zur erwartungsvollen Pilgerfamilien im Vordergrund.

Hunt war Gründungsmitglied der Präraffaeliten (The Pre-Raphaelite Brotherhood, PRB), eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England zusammengekommenen Gruppe von Künstlern. Diese prägten den nach ihnen benannten Präraffaelismus, einen Stil, der stark von den Malern des italienischen Trecento und Quattrocento — also von Künstlern der italienischen Renaissance wie Botticelli und insbesondere Raffael beeinflußt wurde, obwohl die Präraffaeliten jene anfänglich bereits ablehnten weil sie meinten, daß sie den Höhepunkt schon wieder überschritten hätten. Auch übten die deutschen Nazarener einen Einfluß auf ihre Kunst aus.

Ihre Ziele legten die Präraffaeliten in einem Manifest nieder:

  • Echte Ideen zum Ausdruck zu bringen;
  • Die Natur aufmerksam zu studieren um zu wissen, wie man sie ausdrückt;
  • Mit dem zu sympathisieren, was in der bisherigen Kunst direkt und ernst und von Herzen kommt, unter Ausschluss dessen, was konventionell und selbstparodierend und auswendig gelernt ist;
  • Und vor allem, durch und durch gute Bilder und Statuen herzustellen.

Sie wollten vor allem die Natur wieder entdecken und aus ihr schöpfen, was sie insbesondere mit detailgetreuen, klaren und strengen Darstellungen der Natur in den Bildern zu erreichen suchten. Sie lehnten die als barock und steril empfundene akademische Malerei ab, die nach den Worten Hunts viel zu leblos ("Wachsfiguren") sei. In der Konsequenz führte das zu einem fast schon fotorealistischem Malstil, der allerdings auch nicht unbedingt überall Anklang fand.

J. E. Millais, Christus im Hause seiner Eltern, 1849/50

Bilder wie Christus im Haus seiner Eltern von John Everett Millais (* 1829, † 1896) waren dem Publikum einfach zu realistisch, da sie in ihrer Ungeschminktheit und Schärfe nichts kaschierten oder selektierten. (Millais soll sich für dieses Bild in das Haus eines Schreinermeisters einquartiert haben, um diesen bei der Arbeit zu beobachten.) Das sollte sich allerdings ändern, nachdem bedeutende Kunsthistoriker und -kritiker in öffentlichen Briefen für die Gruppe Partei ergriffen.

Ford Madox Brown, The Last of England, 1852/55

Für The Last of England ließ Ford Madox Brown (* 1821, † 1893) seine Familie, die ihm Modell stand, stundenlang bei schlechtem Wetter ausharren. Er wollte die Stimmung an Bord eines Auswandererschiffes möglichst realistisch abbilden.

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